Von der Einzelmetzgerschlachtung zum Fließbandbetrieb. Die bundesdeutsche Schlachtindustrie im Ruhrgebiet und Allgäu, 1945-1990
- Typ: Promotionsprojekt
- Bearbeiter: Philip Kortling
- Betreuerinnen: Juliane Czierpka & Nina Kleinöder (Bamberg)
Das Projekt untersucht den Strukturwandel der bundesdeutschen Schlachtindustrie aus Sicht der kommunalen Schlachthöfe. Seit Ende des 19. Jahrhunderts
bildeten diese den wirtschaftlichen Knotenpunkt für den Handel mit Vieh und der Schlachttierverwertung – eine Rolle, die diese auch in den Nachkriegsjahren
und zu den Zeiten der noch jungen Bundesrepublik innehatten. Innerhalb von rund 45 Jahren – bis zur Wiedervereinigung beider deutscher Staaten – verloren
die kommunalen Vieh- und Schlachthöfe jedoch ihr Vorrangstellung an private und genossenschaftliche Versandschlachtbetriebe. Statt Vieh lebend in die
Städte zu transportieren, dort zu handeln, zu schlachten und um den Schornstein herum zu vertreiben (Lebendviehmarkt), war es in Deutschland zur
marktgängigen Praxis geworden, Vieh verbraucherfern zu schlachten und in Teilfleischstücken in die Bedarfsgebiete zu liefern (Totversand).
Das vorliegende Projekt befasst sich mit den (Hinter-)Gründen dieses Vermarktungswechsels und den mit ihm einhergehenden Bedeutungsverlust der
kommunalen Schlachthöfe als zentrale Produktionsstätten für Fleisch. Das zentrale Erkenntnisinteresse liegt auf der unternehmenshistorischen
Entwicklung und Marktstellung der kommunalen Schlachthöfe im Zuge des fleischwirtschaftlichen Transformationsprozesses. Insbesondere die
Handlungsspielräume, die sich aus den heterogenen Standortfaktoren sowie den betriebsinternen Funktionslogiken ergaben, sollen hierzu analysiert werden.
Konkret: Wieso sind die kommunalen Schlachthöfe als Verlierer aus dem Verdrängungswettbewerb mit privaten und genossenschaftlichen Versandschlachtbetrieben
hervorgegangen? Welche Rolle spielte hierbei die Erfüllungspflicht hoheitlicher Aufgaben und der öffentlich-rechtliche Betriebscharakter der kommunalen
Schlachthöfe? Welche markt- und produktionsstrategischen Anpassungsversuche haben letztere unternommen? Haben differierende Standortbedingungen kommunaler
Schlachthöfe regional unterschiedliche Produktionsstrategien und Pfadentwicklungen bedingt? In welchem Maß haben die Arbeitsweisen des Metzgerhandwerks und
deren berufsständische Vorstellungen etwaige Anpassungsstrategien beeinflusst und begrenzt? Und umgekehrt: welche Auswirkungen hatten diese
Anpassungsstrategien auf das Metzgerhandwerk?
Kommunale Schlachthöfe sollen dazu als zeit- und kontextgebundene Phänomene erfasst und analysiert werden. Mit Hilfe des neo-institutionalistischen
Methodenkastens sollen dazu nicht nur Pfadabhängigkeiten und Brüche offengelegt werden, sondern Schlachthöfe auch als kulturrational agierende Systeme
verstanden werden, die nicht nur einer ökonomischen Binnenrationalität folgten. Soziokulturelle und wirtschaftspolitische Außenbedingungen werden auf diese
Weise ebenso zu wirkungsmächtigen Erklärungsfaktoren wie traditionale Strukturen und Gewohnheiten innerhalb des Betriebs und der dort tätigen Metzger.
Um dergestalt Handlungsspielräume und -zwänge – über „harte“ unternehmenshistorische Faktoren hinaus – in Form von subjektiven und berufsständischen
Präferenzen greifbar zu machen, werden schriftliche Archivquellen um Oral History Interviews erweitert. Da der Strukturwandel in der Schlachtindustrie
mit einem Vermarktungswechsel (vom Lebendmarkt zum Totversand) einhergegangen ist, der wesentlich von den Standortbedingungen und der Nähe bzw. Entfernung
zu Vieherzeugungsgebieten dynamisiert war, ist die Studie zudem als regionaler Vergleich angelegt, der kommunale Schlachthöfe in urbanen Ballungsgebieten
(Ruhrgebiet) sowie in ländlich strukturierten, erzeugernahen Gebieten (Allgäu) untersucht. Unter der Prämisse, dass die Schlachtung als primärer
Wertschöpfungsakt in einem sich zuspitzenden Wettbewerb stetig an Bedeutung gewinnen musste, kommt der Analyse veränderter Schlachtpraktiken, technischer
Neuerungen und arbeitsorganisatorischer Anpassungsstrategien ein Hauptaugenmerk zu. Die Studie verbindet damit letztlich mikro,- meso- und
makroperspektivische Ansätze.