Retinale Ischämie
Die Retina weist einen hohen metabolischen Bedarf auf und reagiert daher sehr sensibel auf eine verminderte Durchblutung (Ischämie) und damit ein Minderangebot an Nährstoffen [1, 2]. Daher spielen ischämische Prozesse eine wichtige Rolle in der Pathophysiologie diverser Augenerkrankungen. Zu diesen zählen unter anderem das Glaukom, okuläre Gefäßverschlüsse sowie diabetische Retinopathien [3]. Die Durchblutungsstörung in der Retina führt zu einer Sauerstoffunterversorgung des Gewebes, wodurch es zu Zelltod sowie zu funktionellen und morphologischen Veränderungen in den verschiedenen Retina-Schichten kommt. Bei der anschließenden Wiederdurchblutung des Gewebes (Reperfusion) kommt es durch den vermehrt vorhandenen Sauerstoff und damit einhergehende aggressive Sauerstoff-Stoffwechselprodukte zu toxischen Wirkungen auf die neuronalen Zellen [4, 5]. In unserer Arbeitsgruppe wird mit dem Ischämie/Reperfusions-Modell (I/R-Modell) gearbeitet, um die Auswirkungen einer Ischämie auf neuronale Retina-Zellen sowie auf den Sehnerv näher zu untersuchen und den molekularen Mechanismus dahinter zu verstehen.
Während andere Arbeiten einen frühen Zellverslust aufgezeigt haben [6, 7], konnte in vorangegangenen Studien unsere Arbeitsgruppe zeigen, dass das Ischämie/Reperfusions-Modell auch noch zum späten Zeitpunkt nachweislich zum Untergang und zur Schädigung verschiedener retinaler Zelltypen führt [8]. Es wurde der Untergang von retinalen Ganglienzellen durch Apoptose (Abb. 1) sowie eine reduzierte Anzahl an Amakrinzellen festgestellt (Abb. 2).
Untergang von retinalen Ganglienzellen
A) Immunhistochemische Färbung der retinalen Querschnitte mit Brn-3a (retinale Ganglienzellen, grün) und DAPI (Zellkerne, blau) 21 Tage nach I/R. Es wurden weniger Brn-3a+ retinale Ganglienzellen in den ischämischen Retinae festgestellt. B) Die Zahl der retinalen Ganglienzellen war in den ischämischen Augen im Vergleich zu den Kontrollaugen signifikant reduziert (p=0,03). *: p<0,05; GCL: retinale Ganglienzellschicht, INL: innere Körnerschicht, ONL: äußere Körnerschicht; Maßstab: 20 µm (Schmid et al, 2104).
Analyse ChAT-positiver Amakrinzellen
A) Die Retina-Querschnitte wurden 21 Tage nach Ischämie/Reperfusion mit dem Amakrinzell-Marker ChAT (rot) gefärbt (DAPI: Zellkörper, blau). In den Kontrollaugen war im Vergleich zu den ischämischen Augen sowohl eine Stratifizierung als auch Zellkörper erkennbar. B) Die Auswertung ergab signifikant weniger ChAT+ Amakrinzellen in den ischämischen Retinae (p<0,001). ***: p<0,001; GCL: retinale Ganglienzellschicht, INL: innere Körnerschicht, ONL: äußere Körnerschicht; Maßstab: 20 µm (Schmid et al, 2104).
Zudem konnte gezeigt werden, dass auf Grund der starken Gewebeschäden eine erhöhte Anzahl an inflammatorischen Mikrogliazellen vorliegt. Auch ein Funktionsverlust der inneren retinalen Zellschichten konnte mittels ERG-Messungen nachgewiesen werden (Abb. 3).
Aufgrund des massiven Schadens, den die ischämischen Prozesse in der Retina hervorrufen, besteht die Annahme, dass auch der optische Nerv (ON) angegriffen wird. Bisher ist jedoch nur wenig über das Ausmaß einer Ischämie/Reperfusion auf den Sehnerv bekannt. Einzelne Arbeitsgruppen konnten bereits funktionelle und strukturelle Veränderungen nach einer transienten Ischämie im Sehnerv beobachten [9-12]. Auch unsere Arbeitsgruppe konnte in ersten Studien schwere Gewebeschäden in ischämischen Sehnerven in Form von Zellinfiltration, Demyelinisierung und Immigration und Aktivierung von Immuneffektorzellen nachweisen. Weitere Untersuchungen sollen folgen, um die Auswirkungen ischämischer Prozesse auf den Sehnerv im Detail zu klären und den Mechanismus zu verstehen.
Die Erkenntnisse sollen langfristig neue Therapieansätze für retinale Erkrankungen aufzeigen.
ERG-Messung
A) Repräsentative ERG-Aufnahme bei 3 cd/m2 eines Kontroll-Auges (grau) und eines ischämischen Auges (schwarz). Der Pfeil markiert den Startpunkt der Lichtstimulation. Es ist eine Reduktion der a- und b-Wellen-Amplitude beim ischämischen Auge zu sehen. B) Graphische Auftragung der Messdaten für die a-Wellen-Amplitude gegen die Lichtintensitäten von 0,1 bis 25 cd*s/m2. Mit Ausnahme von 25 cd*s/m2 war bei allen Lichtintensitäten eine signifikante Abnahme der Amplitude der a-Welle bei den ischämischen Augen im Vergleich zu den Kontrollaugen zu sehen. C) Graphische Auftragung der Messdaten für die Amplitude der b-Welle gegen die Lichtintensitäten. Es ließ sich bei allen Lichtintensitäten eine signifikante Abnahme der Amplitude bei den ischämischen Augen im Vergleich zu den Kotrollaugen feststellen. D) Graphische Auswertung der Latenzzeit der a-Welle mit Vergleich beider Gruppen (Ischämie vs. Kontrolle). Ein Unterschied zwischen den Gruppen hat sich nicht gezeigt. E) Graphische Auswertung der Latenzzeit der b-Welle, aufgetragen gegen die Lichtintensitäten. Es konnte nur bei der niedrigsten Lichtintensität 0,1 Candela ein signifikanter Unterschied zwischen ischämischen und Kontrollaugen ermittelt werden. *: p<0,05; **: p<0,01; ***: p<0,001 (Schmid et al, 2104).
Publikationen
Joachim SC, Wax MB, Boehm N, Dirk DR, Pfeiffer N,. Grus FH (2011). "Upregulation of antibody response to heat shock proteins and tissue antigens in an ocular ischemia model." Invest Ophthalmol Vis Sci 52(6): 3468-3474.
Joachim SC, Jehle T, Boehm N, Gramlich OW, Lagreze WA, Pfeiffer N, Grus FH (2012). "Effect of Ischemia Duration on Autoantibody Response in Rats Undergoing Retinal Ischemia-Reperfusion." Ophthalmic Res 48(2): 67-74.
Schmid H, Renner M, Dick HB, Joachim SC (2014). "Loss of inner retinal neurons after retinal ischemia in rats." Investigative ophthalmology & visual science 55(4): 2777-2787.
Aktuelle Tagungsbeiträge
Schmid H, Renner M, Dick HB, Joachim SC (2014). "Loss of cholinergic amacrine cells in an ischemia-reperfusion animal model." Invest. Ophthalmol. Vis. Sci. 55(5): 1907
Renner M, Stute G, Schmid H, Horstmann H, Dick HB, Joachim SC (2015). "Optic nerve degeneration after retinal ischemia-reperfusion in a rodent model." Investigative Ophthalmology & Visual Science 56(7): 22.
Joachim SC, Renner M, Reinehr S, Stute G, Theiss C, Dick HB (2015). "Ranibizumab treatment protects retinal cells in an ischemia model." Investigative Ophthalmology & Visual Science 56(7): 2478-2478.
Literatur
1. Minhas, G., R. Morishita, and A. Anand, Preclinical models to investigate retinal ischemia: advances and drawbacks. Front Neurol, 2012. 3: p. 75.
2. Kaur, C., W.S. Foulds, and E.A. Ling, Hypoxia-ischemia and retinal ganglion cell damage. Clin Ophthalmol, 2008. 2(4): p. 879-89.
3. Osborne, N.N., et al., Retinal ischemia: mechanisms of damage and potential therapeutic strategies. Prog Retin Eye Res, 2004. 23(1): p. 91-147.
4. Belforte, N., et al., Ischemic tolerance protects the rat retina from glaucomatous damage. PLoS One, 2011. 6(8): p. e23763.
5. Joachim, S.C., et al., Effect of ischemia duration on autoantibody response in rats undergoing retinal ischemia-reperfusion. Ophthalmic Res, 2012. 48(2): p. 67-74.
6. Lam, T.T., A.S. Abler, and M.O. Tso, Apoptosis and caspases after ischemia-reperfusion injury in rat retina. Invest Ophthalmol Vis Sci, 1999. 40(5): p. 967-75.
7. Zheng, G.Y., C. Zhang, and Z.G. Li, Early activation of caspase-1 after retinal ischemia and reperfusion injury in mice. Chin Med J (Engl), 2004. 117(5): p. 717-21.
8. Schmid, H., et al., Loss of inner retinal neurons after retinal ischemia in rats. Invest Ophthalmol Vis Sci, 2014. 55(4): p. 2777-87.
9. Adachi, M., et al., High intraocular pressure-induced ischemia and reperfusion injury in the optic nerve and retina in rats. Graefes Arch Clin Exp Ophthalmol, 1996. 234(7): p. 445-51.
10. Grozdanic, S.D., et al., Functional characterization of retina and optic nerve after acute ocular ischemia in rats. Invest Ophthalmol Vis Sci, 2003. 44(6): p. 2597-605.
11. Joachim, S.C., et al., Upregulation of antibody response to heat shock proteins and tissue antigens in an ocular ischemia model. Invest Ophthalmol Vis Sci, 2011. 52(6): p. 3468-74.
12. Wang, Q., et al., Diffusion tensor imaging detected optic nerve injury correlates with decreased compound action potentials after murine retinal ischemia. Invest Ophthalmol Vis Sci, 2012. 53(1): p. 136-42.