Mikroidentitäten im hellenistischen und kaiserzeitlichen Bithynien: Archäologischer Survey in Nikaia (Iznik/Türkei).

Ansprechpartner: Prof. Dr. Christof Berns (Projektleitung) & Ali Altın M.A. (Wissenschaftlicher Mitarbeiter)

christof.berns@rub.de
Ali.Altin@ruhr-uni-bochum.de

Nikaia war eine Polis regionaler Bedeutung in Bithynien, einer antiken Landschaft im Nordwesten der Türkei. Die Stadt stand unter der Regionalherrschaft der bithynischen Könige, bevor sie innerhalb des Imperium Romanum ein Zentrum der römischen Provinz Bithynia et Pontus bildete und schließlich nach der Teilung des römischen Reiches zum Hinterland der neuen Residenzen Nikomedia und Konstantinopel gehörte. Sie ist zugleich der Ort mit der umfangreichsten monumentalen Überlieferung in Bithynien. Gerade die charakteristische Mittellage zwischen Zentrum und Peripherie macht sie zu einem aussagekräftigen Fallbeispiel, wenn man die lokalspezifische Ausprägung des kulturellen Integrationsprozesses der antiken Mittelmeerwelt nachvollziehen möchte.

Vermessungsarbeiten am Lefke-Tor
Abb. 01: Vermessungsarbeiten am Lefke-Tor


Reiche materielle Überlieferung

Die Stadt, die seit ihrer Eroberung durch die Osmanen im Jahre 1331 Iznik heißt, ist bis heute kontinuierlich besiedelt. Inmitten der Häuser der türkischen Landstadt stehen die Reste monumentaler Großbauten aus der römischen Kaiserzeit, darunter der fast vollständige Ring der Befestigungsmauer und ein Theater. In der unmittelbaren Umgebung befinden sich mehrere monumentale Grabanlagen aus hellenistischer Zeit. Eine weitere Quellengattung sind Architekturteile antiker Großbauten sowie Grabdenkmäler, die als Spolien innerhalb des Stadtgebietes verbaut worden sind. Diese reiche materielle Überlieferung Nikaias ist bis heute praktisch unerschlossen (lediglich die Inschriften sind in einem von Sencer Şahin herausgegebenen Corpus systematisch erfasst).

Abb. 02: Turm der Stadtbefestigung mit Sockel aus Spolienmaterial

Abb. 05: Hellenistische Grabkammer


Interdisziplinäres Feldforschungsprojekt

Vor diesem Hintergrund führt das Institut für Archäologische Wissenschaften der RUB in Kooperation mit der Abteilung Archäologie der Uludağ Universität Bursa seit 2013 ein interdisziplinäres Feldforschungsprojekt in Iznik durch. Weitere Projektpartner sind das Institut für Geophysik der Christian Albrechts-Universität Kiel und der Bereich Fernerkundung und Geodäsie der Beuth Hochschule Berlin. Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziell gefördert (BE-3219/2-1) und von der Stadtverwaltung von Iznik logistisch unterstützt. Ziel ist es, die archäologischen Denkmäler der Stadt möglichst umfassend zu dokumentieren und exemplarisch die Entwicklung einer Siedlung am Rand der antiken Großräume unter verschiedenen Aspekten zu untersuchen. Dabei kommen verschiedene Methoden zum Einsatz.

Iznik3
Abb. 03: Dokumentation von Spolien auf der Stadtbefestigung


Geophysikalischer Prospektionen

Mit Hilfe geophysikalischer Prospektionen sollen das antike Straßenraster und die Struktur der Nekropolen wiedergewonnen werden. Die Kartierung und Dokumentation von Spolien dient dazu, die lokale Topographie in den verschiedenen Phasen der antiken Stadtgeschichte zu rekonstruieren. Sie wird ergänzt durch eine Aufnahme der im lokalen Museum aufbewahrten Denkmäler. Die erhaltenen Großbauten werden bauhistorisch untersucht und dokumentiert. Die Bestandaufnahme der antiken Denkmäler von Iznik ermöglicht die Bearbeitung der übergeordneten Problemstellung.

Geophysikalische Prospektion
Abb. 04: Geophysikalische Prospektion


Prozesse kollektiver Identitätsbildung

Dabei geht es um die Bedeutung von Kulturräumen für die Prozesse kollektiver Identitätsbildung. In welchen historischen Phasen, in welchen funktionalen Kontexten und ausgehend von welchen sozialen Gruppen erhielt der Bezug auf spezifische lokale Eigenarten eine hervorgehobene Bedeutung für die Identitätsbildung? Wann gewannen demgegenüber supralokale Narrative wie die Traditionen Bithyniens, die Werte hellenischer Kultur oder die Zugehörigkeit zum Imperium Romanum an Bedeutung? Die Beantwortung dieser Fragen vermittelt eine genauere Vorstellung von den Identitätsmustern, auf die innerhalb des Imperium Romanum rekurriert werden konnte, und leistet einen Beitrag zu ihrem besseren Verständnis.