Der Humeitepe in Milet – Neue Forschungen zum Stadtraum einer Handelsmetropole
Ansprechpartner:Prof. Dr. Christof Berns (Projektleitung) und
Sabine Huy M. A. (wissenschaftliche Mitarbeiterin)
christof.berns@uni-hamburg.de
sabine.huy@uni-hamburg.de
Unter der Leitung von Prof. Dr. Christof Berns wurde 2014 ein neues Feldforschungsprojekt in Milet begonnen, das sich auf die Erforschung des Humeitepe konzentriert. Der Humeitepe ist das nordöstlichste Siedlungsareal der antiken Stadt (Abb. 1 und Abb. 2). Es handelt sich um einen etwa 26 Hektar großen, langgestreckten Hügel, der ein natürliches Hafenbecken einschließt (Abb. 3). Punktuelle frühere Untersuchungen zeigten, dass der Humeitepe insbesondere im Hellenismus und in der Kaiserzeit zu den dicht bebauten Arealen gehörte:
Bereits zwischen 1902 und 1910 wurden durch den ersten Grabungsleiter Theodor Wiegand einzelne Sondagen auf dem Humeitepe angelegt. Diese ließen auf ein flächendeckendes Straßenraster schließen, das etwa 100 Jahre später durch geophysikalische Prospektionen bestätigt werden konnte (Abb. 8).
In weiteren kleineren Unternehmungen zeigten sich Reste reich ausgestatteter kaiserzeitlicher Häuser, der Stadtmauer und der Hafeninfrastruktur. Anfang der 1980er Jahre konnte durch Grabungen unter Wolfgang Müller-Wiener ein Demeter-Heiligtum an der Nordspitze des Humeitepe nachgewiesen werden. Darüber hinaus sind im südlichen Bereich der Erhebung die Ruinen zweier Thermenanlagen erkennbar.
Die bisherigen Forschungen auf dem Humeitepe verdeutlichen die vielfältigen urbanen Funktionen des Gebietes, ermöglichen jedoch noch keine übergreifende Interpretation der Nutzung und Bedeutung des Areals im Kontext des gesamten Stadtgebietes. Daher wurde das neue Milet-Projekt des Instituts für Archäologische Wissenschaften zunächst mit einem urbanen Survey begonnen, um grundlegende Aufschlüsse über die Ausdehnung des milesischen Stadtgebiets und die Nutzung des Humeitepe in den verschiedenen Phasen zu erlangen.
Abb. 3: Geländemodell des Humeitepe (Datenerhebung H. Stümpel; Modellierung J. Rothe)
Methodisches Vorgehen
Auf dem Gelände wurden 20 x 20 m große Quadranten abgesteckt, die ihrerseits in 5 x 5 m große Transecte unterteilt wurden. Mit dieser Methode wurden in den Kampagnen 2014 und 2015 insgesamt 9,28 ha systematisch untersucht (Abb. 4 und Abb. 5).
Bei den materiellen Hinterlassenschaften, die innerhalb der Reihen aufgesammelt wurden, handelt es sich vornehmlich um Dachziegel- und Gefäßkeramikfragmente. Letztere wurden nach einem festen Kategoriensystem (Transport-, Haushalts-, Tafel-, Koch- und Vorratsgeschirr) direkt im Feld quantifiziert. Daneben kamen auch zahlreiche Eisenschlacken, Webgewichte, Tesserae und Purpurschnecken zu tage. Das Spektrum wird durch Einzelfunde von Terrakottastatuetten, Münzen, Glasgefäßfragmenten und marmornen Architekturteilen sowie Hausinventaren ergänzt (Abb. 6).
Diagnostische Fragmente wurden zur weiteren Fundbearbeitung in die Depots gebracht. Die Klassifikation der Funde dient vor allem der Klärung von Chronologie- und Herkunftsfragen. Bei der Gefäßkeramik ist dabei die Fabrikatsanalyse ein wichtiger Bestandteil, die einer Gruppenbildung auf Basis der Eigenschaften eines gebrannten Scherbens zu Grunde liegt (Abb. 7).
Alle Funde werden ihrem Fundkontext nach (Transect) in Sammelaufnahmen fotografiert.
Die zeichnerische Dokumentation erfolgt in Auswahl, die alle vertretenen Typen wiedergibt.
Die Beschreibungen der Funde werden in der grabungsbegleitenden Datenbank iDAIfield erfasst, in welche auch die fotografische und zeichnerische Dokumentation der Stücke eingegliedert wird.
Abb. 6: Milet, Humeitepe: Auswahl von Fundmaterial (Foto: S. Huy)
Abb. 7: Milet, Humeitepe: Arbeiten im Depot (Foto: S. Huy)
Vorläufige Ergebnisse
Die Klassifikation der Keramiken zeigt beim bisherigen Stand der Arbeiten eine zwar geringe, jedoch flächendeckende Nutzung des Humeitepe in archaischer Zeit. Ältere Funde fehlen.
In klassischer Zeit scheinen die Aktivitäten verstärkt worden zu sein, wovon eine deutlich höhere Funddichte und ein breiteres Formenspektrum zeugen. Wie zu erwarten, lag die intensivste Nutzungsphase des Gebiets ca. zwischen dem 3. Jh. v. Chr. und dem 3. Jh. n. Chr.
Mehrere Tausend Amphorenfragmente verweisen auf die Bedeutung als Warenumschlagsplatz.
Die große Menge an Haushalts-, Koch- und Vorratsgeschirr lassen zudem eine dichte Wohnbebauung vermuten, die dem geophysikalischen Prospektionsbild nach in Insulae arrangiert war (Abb. 8).
Die wiederkehrenden Funde von marmornen Hausinventaren und Architekturteilen sowie Mosaikfragmente deuten auf luxuriös ausgestattete Häuser hin, die sich vor allem im südlichen Bereich des Humeitepe verdichteten.
In byzantinischer Zeit ist das Gebiet offenbar nur noch punktuell besiedelt gewesen. Stellenweise konzentrierten sich Funde byzantinischen Tisch- und Haushaltsgeschirrs sowie Amphoren, die auf vereinzelte Häuser schließen lassen. Der Survey wurde durch eine systematische Aufnahme der an der Oberfläche liegenden Architekturelemente begleitet (Abb. 9).
Dabei zeigte sich, dass die einzelnen Bauteile aus unterschiedlichen Steinsorten gefertigt worden sind. Sie weisen auch hinsichtlich ihrer Maße so große Abweichungen voneinander auf, dass sie offenbar nicht von einem oder wenigen Großbauten auf dem Humeitepe stammen, sondern als Einzelstücke aus anderen Bereichen der Stadt hierher transportiert worden sind. Da sie sich im Bereich des Hafens konzentrieren ist zu vermuten, dass sie hier gesammelt wurden, um über den Hafen abtransportiert und einer Wiederverwendung an anderem Ort zugeführt zu werden (Abb. 10).
Die Feldarbeiten des Surveys auf dem Humeitepe konnten 2015 weitgehend abgeschlossen werden, so dass im folgenden Jahr mit ersten Sondagen begonnen werden kann.
Durch die Säuberung der Profile alter Grabungsschnitte erhoffen wir uns einen Einblick in die Stratigraphie; darüber hinaus wollen wir durch gezielte Schnitte an Straßenkreuzungen die Chronologie des Straßenrasters klären.
Parallel dazu wird die Fundbearbeitung der Survey-Materialien fortgesetzt, um ein detailliertes Bild der chronologischen und funktionalen Verteilung der Keramiken zu gewinnen.
Einen weiteren wichtigen Schwerpunkt der Bochumer Arbeiten in Milet bildete die Überprüfung, Korrektur und Ergänzung des Festpunktenetzes durch eine Gruppe der Beuth-Hochschule für Technik Berlin. Dadurch konnten die aus früheren Messepochen entstanden inneren Spannungen zwischen den einzelnen Festpunkten entfernt werden.
Nach der statistischen Auswertung liegen die durchschnittlichen Standardgenauigkeiten der Lage bei ±3.1mm und die der Höhe bei ±4.2mm.
Die kommenden vermessungstechnischen Arbeiten bauen auf diesem verbesserten Netz auf und beinhalten eine ausführliche Bestandsaufnahme des Humeitepe inklusive eines DGM mit einer Auflösung von 50cm.
Die Arbeiten wurden 2014 durch das Mercator Research Center Ruhr (An-2014-0033) und 2015 durch die Ruhr-Universität Bochum finanziell gefördert.
Beteiligt waren an den Kampagnen die Archäologen Prof. Dr. Christof Berns, Dr. Sabine Huy und Dr. Barbora Weissova mit den Bochumer Studierenden Ester Baumann, Ronja Becker, Vivien Drabinski, Emmanuel Giagtzoglou, Corinna Gretenkort, Tristan Gut, Dipl. Ing. Jacqueline Güldenpfennig, Clarissa Haubenthal, Sophie Herzhoff, Tuba Kadamli, Samantha Knoll, Julius Kötter, Mine Özkılınç, Goldie Nagy, Theresa Rafflenbeul, Sarah Rühl, Marvin Schindler, Lisa Sowa, Johanna Staßen, Verena Wunderlich, Dana Zacharias und Christopher Zaers, der Vermessungsingenieur Dipl.-Ing. Jens Rothe mit den Studierenden Christin Deißler und Maria Alfaenger (Beuth-Hochschule für Technik Berlin) sowie die Geophysiker Dr. Harald Stümpel (CAU Kiel) und Dipl. Ing. İsmail Kaplanvural (Universität Kocaeli) mit den Studierenden Elif Batıgün, Carina Milde, Katharina Rusch und Tuğçe Taş.
Abb. 8: Milet, Humeitepe: Geophysikalisches Messbild (H. Stümpel - E. Erkul)
Abb. 9: Milet, Humeitepe: Teil einer Kassettendecke aus Marmor (Foto: J. Güldenpfennig)
Abb. 10: Milet, Humeitepe: Räumliche Verteilung von Architekturteilen aus Marmor (Karte: J. Güldenpfennig - B. Weissova)