In Abbildung 3 ist neben dem Broca-Areal auch das Wernicke-Areal eingezeichnet. Auch diese Form der Aphasie hat ihren Namen von dem Ort der Läsion, die diese Störung verursacht. Eine Durchblutungsstörung der Arteria temporalis posterior ist Ursache der Wernicke-Aphasie. In Abbildung 5 sehen Sie ein CT-Bild, das den Läsionsort sehr gut dokumentiert. Auch hier gilt wieder, dass ein Verschluss der Arteria temporalis posterior nicht unbedingt zu dieser Aphasieform führen muss. Ist die Arteria temporalis posterior rechtsseitig verschlossen oder nicht mehr richtig durchblutet, ist die Wahrscheinlichkeit einer Wernicke-Aphasie zu erleiden höchstens bei Linkshändern gegeben. Die Gefahr, eine Wernicke-Aphasie zu erleiden, steigt stark an, wenn der Patient einen Verschluss oder eine Minderdurchblutung der Arteria temporalis posterior linksseitig erlitten hat.
Abb. 5: Abb. 2.3 b aus: Linn, J., Wiesmann, M. & Brückmann, H. (2011): Atlas klinische Neuroradiologie des Gehirns. Berlin, Heidelberg: Springer Verlag, Seite 81
Patienten mit Wernicke-Aphasie sind sich ihrer Sprachstörung nicht immer bewusst. Dies ist wichtig zu wissen, damit man weiß, wie mit diesen Patienten umgegangen werden sollte. Das häufigste Symptom ist ein flüssiger aber auch sehr übertriebener Sprachfluss. Diese Patienten sind quasi nicht zu stoppen. Leider ist ihre Sprache aber selten wirklich verständlich. Patienten mit Wernicke-Aphasie neigen zu semantischen und phonematischen Paraphasien. Ihre Sprache ist also zum einen durchsetzt von Lautveränderungen einzelner Worte und zum anderen durch die Nutzung von dem Sinn nach ähnlichen, aber im Zusammenhang unpassenden Worten. Außerdem zeigen Wernicke-Aphasiker häufig sogenannten Paragrammatismus, sie verschachteln und verquicken die Dinge, die sie mitteilen möchten derart, dass kaum noch etwas Verständliches dabei herauskommt.
Frau Dr. Lutz hat in ihrem Buch ein Gespräch mit einem Patienten mit Wernicke-Aphasie aufgezeichnet. Der Patient war gebeten worden, über seine Wohnung zu sprechen:
L.L.: Da, wo Sie wohnen, haben Sie da auch einen Garten?
Herr J.: Ha ah, das seh ich sofort hier.
L.L.: Ja, haben Sie da auch einen Garten? Da, wo Sie wohnen?
Herr J.: Ja, gäh äh ka ur ein geomer, ein teomer vin annern to eh
L.L.: Ja ...
Herr J.: Nech, also, mein schön kerger küksil im Sommer, jetzt um diese Zeit ...
L.L.: Ja ...
Herr J.: Gehabt un so auch heute den bron denn ein ein für äh na et den oder oder für mich denn für – Gott, wie schwer ist das denn!
L.L.: Ich kann Sie immer noch nicht verstehen, leider! Ich möchte so gern, aber da kommen immer andere Wörter ...
Herr J.: Ich weiß, aber aber ein mies da hab ich denn manches so gelies gehakkert ja, ach ja, sach ich da stehn für halle sarge was ich wusste...
(Zitat aus „Das Schweigen verstehen“, Dr. Luise Lutz, Kapitel 3.2.2. )
Am Anfang der Symptombeschreibung der Wernicke-Aphasie wurde gesagt, dass Patienten mit dieser Aphasieform sich ihrer Sprachprobleme nicht bewusst sind. Das eben zitierte Gespräch legt die Vermutung nahe, dass das so nicht stimmt. Allerdings muss hier dazu gesagt werden, dass die Patienten kurz nach dem ersten Auftreten der Wernicke-Aphasie sich ihrer Sprachproblematik wirklich nicht bewusst sind. Erschwerend kommt hinzu, dass die Patienten die Unterschiede zwischen dem Gesagten und dem, was sie sagen wollten, nicht realisieren. Sie hören also sozusagen das, was sie sagen wollten, auch wenn bei uns etwas vollkommen anderes ankommt. Diese Problematik erschwert anfangs die Krankheitseinsicht und damit natürlich auch die Erfolgsaussichten für die Rehabilitation. Wie zu erwarten, ist leider auch die Schriftsprache von der Wernicke-Aphasie betroffen. Patienten mit Wernicke-Aphasie schreiben, wie sie sprechen, verschachtelte und komplexe Sätze, denen häufig die richtigen Worte fehlen. Leider ist nicht nur das Schreiben, sondern auch das Lesen betroffen und diese Patienten können oft den Sinn dessen, was sie lesen nicht erfassen. Allerdings scheint es so zu sein, dass sich das Verständnis für geschriebene Sprache schneller bessert, als das für die gesprochene Sprache. Dies ist eine gute Chance für die Therapie, auf die wir später noch zu sprechen kommen.