Jahrestagung der Deutschen Vereinigung für Religionswissenschaft 2009
Intrareligiöse Religionskontakte
Zu intrareligiösen Religionskontakten gehören erstens Prozesse, die gewöhnlich Konfessions-, Sekten- und Schulbildung sowie die Differenzierung zwischen Orthodoxie und Häresie genannt werden. Beispielsweise führt die Ausbreitung der reformatorischen Bewegungen während der frühen Neuzeit und die derzeit weltweit zu registrierende Konjunktur pfingstlich-charismatischer Bewegungen innerhalb einer überwiegend christlich geprägten Kultur zu intrareligiösen Religionskontakten, die den weiteren christlichen Traditionskomplex durch die Reinterpretation christlicher Überlieferungsbestände und deren Anreicherung dynamisiert.
Zweitens sind bei intrareligiösen Religionskontakten die Differenzen zwischen verschiedenen Stratifikationen (etwa die Unterscheidung zwischen Intellektuellen- und Volksreligiosität) zu berücksichtigen.
Drittens schließt der intrareligiöse Religionskontakt die innere Mission ein. Beispielsweise zielt die muslimische Mission (arab. da’wa) im 20. Jahrhundert nicht in erster Linie auf die Bekehrung von Ungläubigen, sondern richtet sich vielmehr an eigene Glaubensbrüder und -schwestern, die – durch den westlichen Säkularismus und Materialismus beeinflusst – vom rechten Wege abgekommen seien (so etwa die Position von Hasan al-Bannâ, dem Gründer der Muslimbruderschaft). Und nicht zuletzt kombiniert die von Johann Hinrich Wichern propagierte „Innere Mission“ das diakonische Engagement mit (Re-)Evangelisierungsinitiativen.
Viertens kann auch die Begegnung von geographisch getrennten, in verschiedene kulturelle Kontexte eingebetteten Fraktionen derselben religiösen Tradition ganz eigene Prozesse religiöser Dynamik auslösen. Dies ist etwa der Fall gewesen, als die Theravada-buddhistische Bewegung der Laienmeditation aus Birma nach Sri Lanka importiert wurde und dort nicht nur einen Aufschwung spiritualisierter Religiosität, sondern auch Befremdung und radikale Ablehnung ausgelöst hat.