Im Zentrum des Forschungsvorhabens stand das arabische theologische Werk Tamhīd fī bayān at-tauḥīd (Einleitung in die Erklärung des Ein-Gott-Glaubens) von Abū Šakūr as- Sālimī (4./11. Jh.). Dieser Autor wird der theologischen Richtung in der Nachfolge Abū Manṣūr al-Māturīdī's (gest. 333/944) zugerechnet, die neben der Lehre, die von Abū l- Ḥasan al-Ašʿarī (gest. 324/935) und seinen Anhängern vertreten wurde, die zweite Säule des sunnitischen Islams bildet und noch heute im Mittleren Osten, in der Türkei und auf dem Balkan zahlreiche Anhänger hat. Trotz der verstärkten Editionstätigkeit der letzten Jahrzehnte bestehen auf dem Gebiet der Erforschung der Lehren der Māturīdiyya noch erhebliche Defizite. Diese betreffen einmal die Erschließung der Texte, die teilweise noch immer nicht in textkritischen Editionen zugänglich sind. Betroffen war hiervon auch der Tamhīd fī bayān at-tauḥīd. Daneben ist noch ein erheblicher Forschungsbedarf zu verzeichnen, der insbesondere das Verhältnis der Māturīdiyya zur Ašʿariyya betrifft. Das Projekt sollte beide Ebenen, d.h. Texterschließung und Themenarbeit, verbinden, indem nicht nur eine kritische Edition des zu untersuchenden Textes, sondern auch eine eingehende Analyse einzelner Themen erfolgen sollte, die zwischen Anhängern beider Schulrichtungen besonders umstritten waren. Eine inhaltliche Besonderheit des Tamhīd ist nämlich darin zu sehen, dass in diesem Werk erstmals in den māturīdītischen Schriften al-Ašʿarī und seine Nachfolger als sunnitische Konkurrenz angeführt werden.
Al-Māturīdī selbst setzte sich primär mit der rationalen Theologie der Muʿtazila auseinander, für die die menschliche Vernunft das Maß aller Dinge war, so dass die für die islamische Theologie so wichtige Allmacht Gottes nicht mehr zu begründen war. Dagegen betonen die Schriften al-Ašʿarī's in erster Linie die Bedeutung der Offenbarung, so dass der Vernunft des Menschen kaum noch eine aktive Rolle zukam. Die Māturīdīten meinten demgegenüber, Vernunft und Offenbarung müssten gleichermaßen berücksichtigt werden, wie bereits bei al-Māturīdī geschehen, um eine Theologie zu entwickeln, die sowohl dem allmächtigen Gott als auch dem Menschen mit seiner rationalen Erkenntnisfähigkeit gerecht wird. Hinsichtlich der Lehren al-Ašʿarī's muss jedoch eine wichtige Einschränkung gemacht werden. Denn es ist in vielen Fällen gar nicht bekannt, ob bestimmte Aussagen auf ihn selbst zurückgehen oder ihm lediglich von späteren Anhängern zugeschrieben wurden. Insofern ist der Tamhīd fī bayān at-tauḥīd ein wichtiges Zeugnis auch für die Bewertung dieser Aussagen. Hier werden aus einer Außenperspektive Lehren dieser theologischen Schule wiedergegeben, was nicht nur den Prozess der Konsolidierung der māturīdītischen Schule in ihrer Auseinandersetzung mit der Ašʿariyya näher beleuchten kann. Vielmehr sollte mit der Projektarbeit auch ein Beitrag zur weiteren Erforschung der ašʿarītischen Schule selbst geleistet werden, so dass die Ergebnisse des Projekts auch für die Erforschung der islamischen Theologie insgesamt nutzbar gemacht werden können.
Projektlaufzeit: 15. 08. 2014 – 14. 08. 2017
Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft
Kontakt: Dr. Angelika Brodersen