Forschung

Huntington

Weitere genetische Einflussfaktoren bei der Huntington-Erkrankung

Neben der neuronalen Funktionsstörung und Degeneration, welche sich letztendlich in den motorischen Symptomen von Morbus Huntington (MH) widerspiegeln, zeigen Betroffene zusätzlich weniger spezifische Ausprägungen, welche sich mitunter als psychiatrische und geistige Veränderungen viele Jahre vor der klinischen Diagnose nachweisen lassen. Somit löst die CAG-Verlängerung im Huntingtin-Gen (HTT) einen lebenslangen Prozess aus, dessen frühe Stadien erst allmählich erfasst werden und welcher später zur klinischen Diagnose führt. Ein Ziel der Huntington-Forschung ist somit, Grundlagen für neue Therapieansätze zu schaffen, auch unter dem Gesichtspunkt, dass wahrscheinlich unterschiedliche Modifikatoren in allen Krankheitsstadien wirken.

Es ist schon lange bekannt, dass das Auftreten der ersten Symptome statistisch mit der Länge der CAG-Blöcke einhergeht, so dass eine allgemeine Aussage zutrifft: Je länger der CAG-Block desto früher die Manifestation der Erkrankung. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass zwei Personen mit identischer CAG-Blocklänge, in exakt demselben Alter erste Symptome zeigen, identische Beeinträchtigungen haben oder genau denselben Krankheitsverlauf aufweisen. Gerade im Bereich der Längen von 40-45 CAGs ist die Variabilität besonders groß. Unterschiede im Ersterkrankungsalter können hier bei gleicher CAG-Länge bis zu 30 Jahre betragen. Aufgrund dieser hohen Variabilität wurden schon vor Jahren sogenannte modifizierende Gene diskutiert, die die MH-Symptomatik beeinflussen. Natürlich spielen auch Umwelteinflüsse eine modifizierende Rolle, aber Familienuntersuchungen konnten einen hohen Grad der Erblichkeit für die Variabilität im Erkrankungsbeginn feststellen. Die nähere Untersuchung dieser genetischen Faktoren kann somit ein entscheidender Hinweis zur weiteren Abklärung der an der Krankheitsentstehung beteiligten biologischen Prozesse sein.

Seit einigen Jahren beschäftigt sich unsere Arbeitsgruppe mit der Suche nach MH-modifizierenden Genen. Zu diesem Zweck ist eine große Gruppe von klinisch besonders gut charakterisierten Patienten erfasst worden. Angaben zum genauen Zeitpunkt des Auftretens der ersten Symptome sowie zu verschiedenen Umwelteinflüssen wurden zusammen mit den Patienten und ihren Angehörigen erhoben.

Ein Gen gilt als Krankheit-modifizierend, wenn Veränderungen in seiner Struktur oder Expression Einfluss auf die Ausprägung des Krankheitsbilds haben. In Modellsystemen wie z.B. Hefe oder Mäusen ist es möglich, direkt ein betreffendes Gen zu manipulieren, im Menschen allerdings beschränkt sich die modifier-Suche auf die natürlich vorkommenden Sequenzvariationen, die bei verschiedenen Personen variieren. Die häufigste Form der genetischen Variabilität ist der Einzel-Nukleotid-Polymorphismus (engl. single nucleotide polymorphism, SNP). Hierbei ist lediglich ein einzelner DNA-Baustein innerhalb eines definierten DNA-Abschnitts verändert. Das genetische Material jeder Person enthält also ein einzigartiges SNP-Muster.

Woher weiß man, welche SNPs untersucht werden sollen? Die favorisierte Herangehensweise ist der so genannte Kandidatengenansatz, in dem SNPs in Genen untersucht werden, die an verschiedenen Signalwegen und Prozessen beteiligt sind, die eine Rolle bei MH vermuten lassen. Im weiteren Untersuchungsablauf werden dann SNPs in diesen Genen mit einem bestimmten Erscheinungsbild in Verbindung gebracht, also im vorliegenden Beispiel das Alter beim Auftreten der ersten motorischen Beeinträchtigungen. Dazu werden die Daten vieler Patienten, wie CAG-Länge und Manifestationsalter von MH bei verschiedenen Genotypen verglichen (s. Abbildung). Ob zwischen der genetischen Ausstattung und dem Erscheinungsbild Beziehungen vorliegen, wird dabei zunächst mittels statistischer Methoden abgeklärt. Mittels dieser Herangehensweise konnten bereits einige MH-modifizierende Gene identifiziert werden. Zu den aussichtsreichsten Kandidaten gehören bisher Gene mit Beteiligung an der Nervenimpuls-Weiterleitung (GRIK2, GRIN2A, GRIN2B, ADORA2A), der DNA-Überschreibung in mRNA (TCERG1), dem Transport in der Nervenzelle (HAP1) und dem Energie-Haushalt (PPARGC1A, mitochondriale Haplogruppe H, NRF-1 und TFAM).

Bei der Vielzahl der in Frage kommenden Kandidaten-Gene und des komplexen Zusammenspiels untereinander ist davon auszugehen, dass die Suche nach diesen Genen auch in Zukunft vielversprechend bleibt. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass es sich bei all diesen Untersuchungen um statistische Zusammenhänge handelt, deren biologisches oder physiologisches Korrelat oftmals noch gar nicht bekannt ist und keine Aussagen über den Krankheitsverlauf des einzelnen Patienten erlauben. Der Hinweis auf die Beteiligung eines bestimmten Gens und die anschließende genaue Charakterisierung sowie deren Veränderungen auf zellulärer Ebene führt jedoch zu einem verbesserten Verständnis der molekularen Grundlagen von MH und kann so langfristig auch zur Identifizierung und Charakterisierung neuer Zielmoleküle für frühe therapeutische Eingriffe beitragen.

Abbildung: Untersuchungsablauf zur Suche nach genetischen Modifikatoren

 

 

Ausgewählte Publikationen

  • Arning L, Epplen JT. Genetic modifiers of Huntington’s disease: beyond CAG. Future Neurology 7:93-109, 2012
  • Taherzadeh-Fard E, Saft C, Akkad DA, Wieczorek S, Haghikia A, Chan A, Epplen JT, Arning L. PGC-1alpha downstream transcription factors NRF-1 and TFAM are genetic modifiers of Huntington disease. Mol Neurodegener 6:32, 2011
  • Taherzadeh-Fard E, Saft C, Wieczorek S, Epplen JT, Arning L. Age at onset in Huntington's disease: replication study on the associations of ADORA2A, HAP1 and OGG1 Neurogenetics 11:435-9, 2010
  • Arning L, Haghikia A, Taherzadeh-Fard E, Saft C, Andrich J, Pula B, Höxtermann S, Wieczorek S, Akkad DA, Perrech M, Gold R, Epplen JT, Chan A. Mitochondrial haplogroup H correlates with ATP levels and age at onset in Huntington disease. J Mol Med 88:431-6, 2010
  • Taherzadeh-Fard E, Saft C, Andrich J, Wieczorek S, Arning L. PGC-1alpha as modifier of onset age in Huntington disease. Mol Neurodegener 4:10, 2009
  • Arning L, Saft C, Wieczorek S, Andrich J, Kraus PH, Epplen JT. NR2A and NR2B receptor gene variations modify age at onset in Huntington disease in a sex-specific manner. Hum Genet 122:175-82, 2007

 

 

Ansprechpartner

  • Dr. rer. nat. Larissa Arning 
    Humangenetik
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    Tel.: +49 (0)234/32-23831
    Fax: +49 (0)234/32-14196
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  • Prof. Dr. med. Carsten Saft
    Oberarzt
    Neurologische Klinik der Ruhr-Universität Bochum
    St. Josef-Hospital
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    44791 Bochum

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    Fax: +49 (0)234/509-2742