A. Hat Luther vom 'papierenen Papst' (als der zum bloßen Gesetz
gewordenen Bibel) gesprochen? Das fragen manche Kollegen.
Eine leider nur privat zugängliche Datei von Luthers
Werken erlaubt im Programm <textpad> folgende Schritte:
1. Suche nach Absätzen mit 'pap.r', 'pap..r' (eine wildcard: i
oder y; zwei wildcards: pi oder ie). Ergebnis der doppelten Suche (in
40 sec): 607 Absätze in der gesamten WA.
2. Dieses Ergebnis nach 'babst', bapst' durchsuchen (ba.st - mit wildcard): Es kommen
nur 21 (markierte) Absätze in Frage.
3. In allen Absätzen stehen die beiden Lexeme nicht zusammen
und bilden deshalb nicht den gesuchten Ausdruck.
4. Der
Ausdruck 'papierener Papst' wird Luther fälschlich
zugeschrieben.
B. Hat sich Kant jemals auf den Psalm 23 bezogen und den hohen
Wert der vier Wörter "du bist bei mir" hervorgehoben?
1. Predigten im Internet
führen immer wieder ein angeblich von Kant stammendes Zitat in
zwei Varianten oder in indirekter Zitation:
„Ich habe in meinem Leben viele kluge und
gute Bücher gelesen. Aber ich habe in ihnen
allen nichts gefunden, was mein Herz so still
und froh gemacht hätte wie die vier Worte
aus dem 23. Psalm: >Du bist bei mir<.“
"Alle Bücher, die ich gelesen
habe, haben wir diesen Trost nicht gegeben, den mir dies Wort der Bibel gab.“
Das Zitat ist in
eher evangelikalen Spruchsammlungen und neuerdings auch in
katholischen Gemeinden in Süddeutschland beliebt.
2. In der
Akademieausgabe der Werke Kants (digitalisiert) findet sich
nichts dergleichen oder auch nur eine ähnliche Aussage. Sie
wäre Kant nur in seiner pietistischen Jugendzeit zuzutrauen,
in der er aber noch nicht so viele Bücher gelesen haben
könnte. Auch die CD von C. Worm findet nichts dergleichen.
3. Ein Hinweis
auf die Herkunft könnte sich aus der Rückverfolgung des Zitats
im Internet ergeben: Im Jahre 2001 findet sich der offenbar
erste Beleg in einer Beerdigungspredigt in Hilchenbach. Zwei
Jahre später wird es in Heidelberg aufgenommen und 2005 in der
(katholischen) Prokathedrale in Stuttgart, von wo es offenbar
via Internet in katholische Gemeinden eingewandert ist. Um
2010/2011 taucht es sehr häufig in protestantischen Predigten
auf. Der Prediger des Jahres 2001 ließ mich wissen, dass sich das Zitat in den
Unterlagen der Verstorbenen fand; am Rande war 'Kant'
angegeben.
4.
Außerhalb des Internets findet sich ein
Hinweis: Das Bayerische Ev. Kirchengesangbuch von 1994 führt das
angebliche Kant-Zitat an. Der Evg. Presseverband Bayern als Herausgeber
antwortet mir bis jetzt nicht auf meine Frage, woraus dieses Zitat
genommen wurde.
5. Nachforschungen von Gerald Krieghofer weisen das Zitat als Fälschung aus:
https://falschzitate.blogspot.co.at/2018/04/alle-bucher-die-ich-gelesen-habe-haben.html.
Krieghofer findet die erste Erwähnung bei: Alice Salzbrunn:
"Das Wort Gottes in Zeugnissen von Theologen, Philosophen und
Dichtern." (EA 1870, Leipzig) 2. Auflage, Friese, Berlin: 1874, S. 56
(zitiert nach Hans Vaihinger, 1897)
C. Im Luther-Jahr treten viele Chöre auf und empfehlen ihre Beiträge zum Luther-Jahr mit
"Wer sich die Musik erkiest, hat ein himmlisch Werk gewonnen...".
Dieses
angebliche Luther-Zitat ist in der gesamten Weimarer Ausgabe der Werke
Luthers allerdings nicht nachweisbar und wird Luther fälschlicherweise
zugeschrieben. Lediglich 5 Stellen mit 'erkiesen' sind nachzuweisen -
es handelt sich um Richter- oder Partnerwahl (usw.)
Mörike,
Werke und Briefe, Bd. 19,1 (Briefe 1868-1875), S. 545 und 547 weisen
dei Quelle des Gedichts nach: Erdmann Neumeister, Geistliche Kantaten
1705.
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