10 | 12 | 2013 |
JULIA KURSELL (Amsterdam)
Noten lesen – eine medienphilologische Operation
Die Arbeitsgrundlage der Musikwissenschaft ist bis weit ins 20. Jahrhundert die Notenschrift. Sie stellt sicher, dass die Gegenstände der Musikwissenschaft allgemein verfügbar sind, und sie erschließt die Komposition: Die Partitur bietet eine Übersicht über das musikalische Geschehen, sie ermöglicht Operationen wie Vergleich und Rekursion, und sie erlaubt zuallererst die Analyse. Der Vortrag will einerseits zeigen, wie der Musikwissenschaftler Hugo Riemann (1849-1919) das Verhältnis von Notenschrift, Klang und Vorstellung konzipiert. Riemann setzt nicht nur voraus, dass Klang und Notation ineinander konvertibel sind, sondern er entwirft in seiner „Lehre von den Tonvorstellungen“ (1914-16) ein Übungsprogramm für Hörer, das auf eine Konditionierung von Vorstellungen zielt. Andererseits will der Vortrag nachzeichnen, wie Riemanns Lehre durch die neuen Medienkonstellationen des 20. Jahrhunderts herausgefordert wurde und welche Transformation sie erfahren hat.
CV
Julia Kursell ist Professorin für Musikwissenschaft an der Universität Amsterdam. Zuvor war sie Dilthey Fellow an der Bauhaus-Universität Weimar und am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin. Sie promovierte 2000 in München und habilitierte sich 2013 an der TU Berlin in Wissenschaftsgeschichte und Musikwissenschaft. Arbeitsschwerpunkte sind die Geschichte der Musikwissenschaft und Psychoakustik sowie medientheoretische Analysen von Kompositionen im 20. Jahrhundert.
Publikationen (Auswahl)
Music and the Laboratory, hrsg. v. A. Hui, M. Jackson und J.K. Chicago: Chicago UP 2013.