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22 | 10 | 2013 | FRIEDRICH BALKE (Bochum)

Medienphilologie und die zerbrochene ‚Kette des Enthusiasmus‘




Die „Kette des Enthusiasmus“, die Platon im „Ion“ von der Entstehung der Dichtung bis zur ihrer Wirkung bei den Zuhörern reichen sah, endet dort, wo die Arbeit der Philologen beginnt. Nachdem nicht mehr die Musen den Auftrag zur Poesie geben und sich der Zusammenhang von Poesie und Fest aufgelöst hat, obliegt ihre Verwaltung den Bibliothekaren und – Philologen. Diese Konfiguration erbt auch eine Medienphilologie, die den Kanon ihrer legitimen wissenschaftlichen Objekte auf Zahlen, Bilder und Töne sowie schließlich: auf Daten und ihre Infrastrukturen erweitert und für sie nachholt, was die Philologie im abgekühlten Umgang mit ‚Texten‘ eingeübt hat. Der Vortrag geht der Frage nach, ob sich Medienphilologie umstandslos als ein Vorgang der ,Übertragung‘ von Verfahren und Begrifflichkeiten verstehen lässt, die die Fixierung und Archivierung von Dichtung zur Voraussetzung hatten. Frühe Formen der Mediengeschichtsschreibung jedenfalls wenden sich Griechenland zu, um zu beobachten, was passiert, „wenn die Musen schreiben lernen“. Und die spezifische Form einer ,German Media Theory‘ entsteht, um mit philologischen Mitteln eine Gründungsszene freizulegen, in der, um 1800, Literatur ihren Status als „sinnloses Schwarzweiß von Papieren“ (Friedrich Kittler) verleugnet und zurückzugewinnen meint, was Dichtung einmal war. Selbst dort, wo die philologische Beschäftigung mit Medien sich am weitesten von der Welt der Texte entfernt, bezieht sie von ihr die eigentümlich ambivalente Grundstellung, die die aktuelle Diskussion um die Philologie insgesamt kennzeichnet: Gegenüber stehen sich ein Verständnis der Philologie, das ihre Objekte in komplexe Beziehungsgeflechte und Operationen auflöst und sie dem Zugriff von Laien und Liebhabern versperrt, und ein anderes, das die Macht der Philologie im Wunsch nach Vergegenwärtigung, Verkörperung und Verwandlung von Dingen in sakrale Objekte verankert.


CV
Friedrich Balke ist Professor für Medienwissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Theorie, Geschichte und Ästhetik bilddokumentarischer Formen an der Ruhr-Universität Bochum. Von 2007 bis 2012 war er Professor für Geschichte und Theorie künstlicher Welten an der Bauhaus-Universität Weimar und Sprecher des Graduiertenkollegs „Mediale Historiographien“ der Universitäten Weimar, Erfurt und Jena. 2012 war er Fellow am Excellence Cluster TOPOI der Humboldt-Universität zu Berlin, 2011 am Internationalen Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie (IKKM) in Weimar. Er forscht zu souveräner Macht und ihren Medien, zur Kultur- und Mediengeschichte von Dingen und Artefakten, zu Zeitbildern in Literatur und TV-Serien sowie zu Medien und Mimesis und zum Dokumentarischen.

Gemeinsam mit Rupert Gaderer organisiert er das Projekt Medienphilologie am Institut für Medienwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum.


Publikationsliste (Auswahl)
Figuren der Souveränität, München: Fink 2009.
Die Wiederkehr der Dinge, hrsg. v. Maria Muhle, Antonia von Schöning und F.B., Berlin: Kadmos 2011. Reisen mit Kafka, Berlin: August 2014. (zusammen mit Rembert Hüser)

 

 

 

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Friedrich Balke

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Ein Projekt der Professur Medienwissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Theorie, Geschichte und Ästhetik bilddokumentarischer Formen an der Ruhr-Universität Bochum
| Prof. Dr. Friedrich Balke und Dr. Rupert Gaderer
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