bkm_logo

About bkm

Befragungen der technologischen Bedingung

[German version]

Es gibt ein kulturelles Unbehagen am Technisch-Medialen, insbesondere was die theoretische Einstellung angeht. Wir befinden uns spätestens seit der Durchsetzung elektrotechnischer Medien und der Implementierung informationstechnologischer Mensch-Maschinen-Verbünde in einer gewaltigen Umbruchssituation. Aber auch wenn, wie Bernard Stiegler bemerkte, die technisch-mediale Frage heute unabweisbar vor den Augen aller liegt, so ist die wohl entscheidende Tatsache, die hinter ihrer Virulenz steht, weitgehend unbemerkt geblieben. Der überlieferte triviale Sinn des Technischen – und mit ihm der Sinn von Wissenschaft, aber auch von Gesellschaft, Politik, Ökonomie und Künsten, ja unser Welt- und Selbstverhältnis insgesamt – ist unter hochtechnologischen Bedingungen dabei, sich zu verschieben.

Die theoretische Einstellung hat diese Sinnverschiebung, die uns in ein neues, nicht-triviales technologisches Milieu des Seins überführt, bislang nur unzureichend bedacht und deren Latenz nicht in klare Kontur und zum Ausweis gebracht. Wenn auch unzweifelhaft Korrekturen oder der Abbau etablierter Auslegungen und Semantiken angegangen wurden und werden – von den Versuchen zu einer neuen Ontologie des Zusammenseins und der Partizipation, dem Erstarken prozeßontologischer Ansätze über posthumanistische Analytiken menschlicher und nicht-menschlicher agencies bis hin zum Entwurf einer phänomenotechnischen Epistemologie und eines nichtgegenständlichen Denkens des Dings –, so mangelt es diesen Unternehmungen zumeist an Einsicht, daß sie selbst zu einem Gutteil von der technologischen Sinnverschiebung erzwungen und ihr Ausdruck sind. Das Unbehagen am Technisch-Medialen ist ein Symptom dieser fortgesetzten Latenzsituation. Techniken und Medien stellen eine Frage, die ihren Ort noch sucht.

Es ist unter der Maßgabe nachklassischer, nicht mehr Welt bearbeitender, sondern Information prozessierender Maschinen und Medien geschehen, daß die klassische ontologische Weltordnung und das sie konstituierende Kategorienregime unwiderruflich aus den Fugen geriet. Es ist die Sinnverschiebung des Technischen, die die überlieferten Begriffsformulare zweifelhaft, wenn nicht gar unbrauchbar gemacht hat sowohl für diagnostische Gänge in zeitgenössische, aber eben auch für das Durchwandern früherer Lagen, die durchweg – auch das beginnen wir heute, im Licht der technologischen Sinnverschiebung, zu ahnen – gegentechnisch und gegenmedial idealisiert worden sind. So entziehen sich die Bedingungen gegenwärtiger Weltbildung und zeitgenössischer Phänomenalität, die neuen Modi des Politischen, des Sozialen, des Ökonomischen und des Ästhetischen sowie die veränderten Stile und Methoden des Wissens noch in einem erstaunlichen Maße ihrer Denkbarkeit. Alles, was wir haben, sind Fragmente neuer ontologischer Denkweisen und Versatzstücke einer zukünftigen Epistemologie, die zum Verständnis unserer Situation noch nicht hinreichend entwickelt und gebündelt sind.

Es ist an der Zeit, daß die technologische Drift als solche als eine Basisgröße unserer gegenwärtigen Transformationssituation bearbeitet und registriert wird, mag dies auch eine unabschließbare Aufgabe sein. Das Kolloquium hat das Ziel, das Unbehagen am Technisch-Medialen durchzuarbeiten, den systematischen Ort von Medien und technischen Dingen zu erkunden und dabei ebenso riskante wie provokante Selbstbeschreibungen einer hochtechnologisierten Kultur zu befördern. Auch wenn es am Institut für Medienwissenschaft angesiedelt ist, dient das Kolloquium nicht zuallererst der Selbstbefragung dieser Disziplin und der Neuauslotung bzw. Vergewisserung ihres Gegenstandsbereiches, mag dies auch ein Nebeneffekt sein. Es geht in der Hauptsache darum, Philosophen und Wissenschaftsgeschichtler, Soziologen, Literatur- und Filmtheoretiker, Künstler, Bild- und Medienwissenschafter zur Reflexion über unsere technisch-mediale Verfassung, deren mögliche Zukünfte, aber auch deren Gewordenheit zu bringen. Fernab des routinierten Tagungsbetriebes sollen metatechnische Reflexionen entstehen und eine Grundlagendiskussion zur technisch-medialen Konstitution stattfinden.

Der Einsatz des heute zu Leistenden, wozu das bkm wenigstens ein Stück beitragen will, ist beträchtlich. Es gilt letztlich, die von Gilles Deleuze so präzise beobachtete Ablösung der Disziplinar- durch die Kontrollgesellschaft, die vermutlich die derzeitige Hauptgestalt der technologischen Sinnverschiebung darstellt und die jedenfalls das ist, was uns bedrängt und unser Denken herausfordert, mit allem Nachdruck und auf den unterschiedlichsten Ebenen zu studieren. Begriffe wie Steuerung, Kontrolle oder Komplexität haben nicht nur die epistemische Vorherrschaft übernommen, sondern sie sind zu scheinbar unhintergehbaren epistemologischen Positionen und ontologischen Grundüberzeugungen geronnen, die die Konzeptualisierungsstrategien der Wissenschaften ebenso prägen wie die unterschiedlichen Notationen und Politiken des Humanen. Die hierin sich verdichtende kontrollgesellschaftliche Hypothese, daß alles was ist, ein Steuerungs- und Regulierungsproblem darstellt oder umgekehrt, daß nur ist, was auch, wie komplex auch immer, als Steuerungs- und Regulierungsproblem zu begreifen ist, ist in ihren unterschiedlichen Ausprägungen zu untersuchen und auf ihren faszinationsgeschichtlichen Gehalt zu bringen.

Ausprägungen hat die dabei zuallererst zu bearbeitende Frage nach unserer technisch-medialen Verfassung viele. Sie reichen – um nur einige Beispiele zu nennen – von theoretischen und geschichtlichen Orientierungen über den Sinn der Maschine bis hin zu historisch-anthropologischen Reflexionen über eine originäre Artifizialität und Unbestimmtheit des Menschen, von der Frage nach der Rolle des technischen Dings in der Wissensproduktion bis zur Auseinandersetzung mit den neuen soziotechnischen Tatsachen, die Menschen, Dinge und Maschinen als gemeinsame Akteure des Zusammenseins und damit neue Konturen des Sozialen und des Politischen erkennen lassen. Zu fragen ist auch, in kritischer Absicht, nach den Signaturen der zeitgenössischen Erfahrungsbildung, nach den Formen der Subjektivierung und Individuation unter kybernetischen Bedingungen, insbesondere nach den psychotechnologischen Zugriffen der Kultur- und Programmindustrien, der dabei ins Werk gesetzten Zerstörung der Selbstsorge und der mentalen Verwahrlosung, die mit dem Bündnis von Hochtechnologie und Kapitalismus einhergeht. Zu eruieren ist aber auch ein ontologisches Denken, das den neuen Technophänomenalitäten als solchen angemessen erscheint, das die gegenwärtigen Prozesse von Weltbildung und Weltwerdung fokussiert und mögliche neue Figuren der Teilhabe an Welt rekonfiguriert.

In diesem Zusammenhang stellt das Verhältnis von Arbeit und Technik einen herausragenden Problemkomplex dar: Unser Weltverhältnis, das seit den frühesten Bekundungen europäischer Rationalität als Arbeitsverhältnis aufgefaßt wurde und als solches unsere Semantiken und metaphysischen Grundüberzeugungen maßgeblich mitgeprägt hat, d.h. auch unsere instrumentelle Voreinstellung zu Techniken und Medien überhaupt, dieses Weltverhältnis steht im Zeitalter von Informationstechnologien zur Disposition. Zu diskutieren sind mithin die genaue Ausgestaltung und die Grenzen unserer überkommenen ergontologischen Fixierung, die den Eigensinn des Technisch-Medialen nach wie vor unter instrumentalistischen Gemeinplätzen begräbt und mit vortechnologischen Partizipations- und Sinnfiguren operiert. An dieser Frage hängt vermutlich in einem gewissen Ausmaß die Zukunft der Arbeit selbst, die längst – frei nach Marshall McLuhan – darin besteht, im technologischen Zeitalter und das heißt unter höchst riskanten Bedingungen leben zu lernen.


shim Inquiries into the Technological Condition

[English version]

There is a cultural uneasiness concerning the technical-medial sphere, especially in regard to theoretical attitude. With the ubiquity of electronic media established, and the implementation of computerized human-machine systems, it has become apparent that we are living in an era of great transformation. Although, as Bernard Stiegler remarked, the question of the technical-medial is irrefutably palpable today, the probably decisive reason behind its virulence has remained widely unnoticed. The traditional trivial meaning of the technical – and with it the meaning of science as well as that of society, politics, the economy, and the arts; in a wider sense our relation to the world and the self altogether – is shifting under the conditions of high technology.

Theoretical approaches have so far only insufficiently considered this shift of meaning, which moves us towards a new, non-trivial technological state of being. The inherent latency of the shift was left unsettled and intangible. Although both the adjustment and dismantling of established interpretations and semantics were and still are undoubtedly attempted – from the endeavors towards a new ontology of togetherness and participation, and the strengthening of process-ontological approaches, to the outline of a “phenomenotechnical” epistemology (Bachelard) and a non-objective thinking of the object – these undertakings are generally lacking the insight that they themselves are greatly forced by this technological shift of meaning, that they are in fact its manifestation. The uneasiness with the technical-medial is a symptom of this continued latency situation. Technology and media are posing a question that is still searching for its place.

The existence of postclassical machines and media that do not handle objects of the physical world like classical machines do, but instead process information, has irreversibly thrown out of joint the classical ontological world order and its constituent regime of categorization. The shift of meaning of technology has made traditional forms of conceptualization doubtful, if not even useless, for diagnostic purposes, both with the respect to contemporary situations, and those found in past strata. The latter, as we just now beginning to understand in the light of that technological shift of meaning, have been idealized as anti-technical and anti-medial. Thus, the conditions of contemporary world formation and phenomenality, the new modes of the political, the social, the economic, and the aesthetic as well as the modified forms and methods of knowledge, are still astonishingly evasive of their own conceivability. We only possess the fragments of new ontological ways of thinking, and pieces of a future epistemology which have not yet been adequately developed and distilled to be of service in understanding our present situation.

The time has come to treat and register technological drift as a base factor in the current transformations, even though this may never be fully achievable. The aim of the colloquium is to attend the existing uneasiness concerning the technical-medial, to explore the systematic place of media and technical objects, and thereby to advance self-descriptions of a high-tech culture that are risky and provocative. Even though located at the Institute for Media Studies, the colloquium does not primarily see itself as serving the reassessment or reaffirmation of that discipline’s subject matter, although this might be a side effect. The colloquium’s goal is mainly to encourage philosophers and historians of science, sociologists, literature and film scholars, artists, and researchers in image and media science to reflect on our technical-medial condition, its multiple possible futures, and the genesis of its present state. The colloquium offers the chance for meta-technical reflections on, and principle discussions of the technical-medial constitution detached from established academic routine.

The work that lies ahead, and to which the bkm wants to contribute, is substantial. What needs to be studied with all emphasis and on several levels is – as Gilles Deleuze so precisely observed – the displacement of the disciplinary society by a control society. That move to the new dispositive of communication, which is likely the current main form of the technological shift of meaning, challenges us, and provokes us to think. Terms such as governance, control or complexity have not only epistemic predominance but also coagulated into epistemological positions and ontological convictions which seemingly cannot be circumvented. These shape strategies of conceptualization in sciences as well as varying notations and politics of the human condition. The hypothesis pertaining to the society of control solidifying therein, that everything that exists embodies a problem of control or regulation, or conversely, that only that exists, which, however complex, can come to be understood as a problem of control or regulation needs to be analyzed in its different characteristics and understood in regard to its historical fascination.

The question that needs to be addressed first is that concerning our technical-medial condition. It has many characteristics, ranging from theoretical and historical orientations in regard to the meaning of the machine, to historical-anthropological reflections on an originate artificiality and vagueness of humanity. It also deals with questions of the role of technical objects in the production of knowledge and the discussion of the new socio-technical facts, which make human beings, objects, and machines perceivable as common actors in new modes of community, thus revealing new shapes of the social and the political. Other inquiries must critically confront the signatures of contemporary formation of experience, the forms of subjectivation and individuation under cybernetic conditions, and in particular the psycho-technological accesses of the culture and program industry, which cause abandonment of self-care and the mental neglect that result from an alliance of high-technology and capitalism.
Furthermore, a new ontological way of thinking adequate to the new techno-phenomenalities needs to be explored. It must focus contemporary processes of world creation and world formation, and reconfigure possible new ways of participation in the world.

In this context, the relation between work and technology embodies a prominent complex of problems: Our relationship with the world understood as one of work since the earliest avowals of European rationality, and as such substantially influential in shaping our semantics and metaphysical convictions, and thus our instrumental attitude towards technology and media in general, in the age of information technologies is subject to renegotiation. Consequently, the exact configuration and the limits of our overcome ergontological fixation, which still operates with pre-technological figures of participation and meaning, burying the obstinacy of the technical-medial under instrumental truisms, must be discussed. To a certain extent, this question is pertinent to the future of work itself, which already – as we may freely adopt from Marshall McLuhan – consists of learning to live under the extremely risky conditions of our technological era.




Erich Hörl (Februar 2008)

Professor für Medientechnik und Medienphilosopie
Institut für Medienwissenschaft | Ruhr-Universtität Bochum


// zurück
Erich Hörl (February 2008)

Professor of Media Technology and Media Philosophy
Institute for Media Studies | Ruhr-University Bochum


// back