Unter
der Bezeichnung „Rote Kapelle“ fasste die Gestapo während des Zweiten
Weltkrieges verschiedene nicht oder nur lose miteinander verknüpfte
Gruppen von NS-Regimegegner zusammen, von denen einige in Kontakt mit
sowjetischen Agenten standen. Zu den bekanntesten Mitgliedern der
„Roten Kapelle“ zählten der Luftwaffenoffizier Harro Schulze-Boysen und
der Jurist Arvin Harnack, deren Netzwerk zwischenzeitlich bis zu
hundert Personen umfasste.
Ein von der deutschen Spionageabwehr abgefangener Funkspruch im April
1941 führte schließlich zur Entdeckung der Gruppe und löste eine
Verhaftungswelle aus. Im Reichsicherheitshauptamt wurde eine
„Sonderkommission Rote Kapelle“ gegründet. In der Folge wurden
zahlreiche Mitglieder der Gruppe zum Tode verurteilt oder starben bis
1945 in Haftanstalten und Konzentrationslagern.
1945 galt die „Rote Kapelle“ als praktisch nicht mehr existent.
In den Verhören ehemaliger Mitglieder von Gestapo und SS durch
Vernehmungsoffiziere der westalliierten Nachrichtendienste erlebte die
„Rote Kapelle“ in den Nachkriegsjahren jedoch eine unerwartete
Wiederauferstehung. Verschiedene Mitarbeiter des
Reichsicherheitshauptamtes, darunter unter anderem der ehemalige
SS-Hauptsturmführer Horst Kopkow, gaben zu Protokoll, dass lediglich
ein kleiner Teil des kommunistisch-sowjetischen Agentennetzwerkes
tatsächlich enttarnt worden sei, während die meisten Mitglieder nach
wie vor als Spione für die Sowjetunion agieren würden.
Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und der wachsenden Kluft
zwischen den ehemaligen Verbündeten der Anti-Hitler-Koalition stießen
diese Informationen auf großes Interesse. Ende der 1940er-Jahre
leiteten britische und US-amerikanische Nachrichtendienste, bald
gefolgt von westdeutschen Behörden, umfangreiche Ermittlungen gegen
tatsächliche und vermeintliche Mitglieder der „Roten Kapelle“ ein. In
einigen Fällen reichten bereits verwandtschaftliche Beziehungen oder
nicht verifizierbare, vage Aussagen ehemaliger Gestapo-Mitarbeiter, um
überwachungsmaßnahmen einzuleiten.
Tatsächlich führten die Ermittlungen gegen die „Rote Kapelle“ nach 1945
zu keinem Ergebnis und wurden schließlich Mitte der 1960er-Jahre
eingestellt. Das Bild eines sowjetischen Agentenrings blieb dennoch
über mehrere Jahrzehnte im Bewusstsein der westdeutschen Gesellschaft
verankert. Erst in den 1990er-Jahren wurden die Mitglieder der „Roten
Kapelle“ als Teil des NS-Widerstandes gewürdigt. Die Urteile der
NS-Justiz wurden schließlich 2009 aufgehoben.
Weiterführende Literatur: