Mit Otto John wurde 1950 ein Mann zum Gründungspräsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) ernannt, der über eine vergleichsweise untypische Biographie für einen solchen Posten in der jungen Bundesrepublik verfügte. Bereits vor Beginn des Zweiten Weltkrieges stand John über die Brüder Klaus und Dietrich Bonhoeffer in Kontakt mit NS-Widerstandsgruppen. Als Mitarbeiter der Deutschen Lufthansa verfügte er über zahlreiche Möglichkeiten, im Ausland Kontakte zu Gleichgesinnten herzustellen und zu pflegen. Nach dem missglückten Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 gelang ihm über Portugal die Flucht nach Großbritannien, wo er zunächst vom MI6 verhört wurde und dann für den Soldatensender „Calais“ arbeitete.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland bewarb John sich mehrfach beim Auswärtigen Amt und anderen Behörden, bis er 1950 schließlich zum Präsidenten des BfV ernannt wurde. Dabei verkörperte er weniger den Wunschkandidaten der Bundesregierung oder der Alliierten Hohen Kommission, sondern vielmehr den kleinsten gemeinsamen Nenner, auf den sich alle Beteiligten zu einigen vermochten.
Wenige Jahre später sorgte John für einen der größten Skandale der 1950er-Jahre: Nach Gedenkveranstaltung in West-Berlin am 20. Juli 1954 verschwand er plötzlich und tauchte wenige Tage später im Osten der Stadt wieder auf, wo er im DDR-Rundfunk eine Ansprache verlas, in der die Bundesregierung und den wachsenden Einfluss vieler ehemaliger NSDAP-Mitglieder auf die Bonner Republik stark kritisierte. Sowohl das Bundesamt für Verfassungsschutz als auch die Bundesregierung zeigten sich völlig überrascht von diesem Schritt. Bis heute sind die genauen Umstände seiner Ausreise nach Ost-Berlin nicht vollständig aufgeklärt.
Zwischen August und
Dezember 1954 hielt sich John offenbar in Moskau auf und wurde dort
mehrfach von
Vernehmungsoffizieren des KGBs
verhört. Danach kehrte er in die DDR
zurück, wo ihm die Regierung eine eigene Wohnung und ein Büro zur
Verfügung stellte. Im Dezember 1955 gelang ihm die Ausreise in die
Bundesrepublik. Otto John bestritt einen freiwilligen übertritt in
die DDR und gab an, betäubt und entführt worden zu sein, doch
ließen sich keine Beweise finden, die diese These erhärteten. Der
Bundesgerichtshof verurteilte ihn 1956 schließlich zu vier Jahren
Haft wegen Landesverrats.
Nach seiner vorzeitigen Entlassung
bemühte sich John bis zu seinem Tod 1997 um eine Rehabilitierung.
Weiterführende Literatur:
Constantin GOSCHLER, Michael WALA: „Keine neue Gestapo“. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die NS-Vergangenheit, Reinbek 2015.
Bernd STÖVER: Der Fall Otto John. Neue Dokumente zu den Aussagen des deutschen Geheimdienstchefs gegenüber MfS und KGB, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 47/1999, S. 103-136.
Armin WAGNER, Dieter KRÜGER (Hrsg.): Konspiration als Beruf: Deutsche Geheimdienstchefs im Kalten Krieg, Berlin 2013.