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DIE PHILOSOPHINForum für feministische Theorie und PhilosophiePhilosophin 30 Hommage an
Christina von Braun. Schönheit und Schwindel.
Geschlecht und Geschichte Einleitung Die dreißigste Ausgabe einer Zeitschrift
ist ein Grund zu feiern. Als wir uns überlegten, wie dieses kleine Jubiläum
zu begehen sei und realisierten, dass es mit dem sechzigsten Geburtstag von Christina
von Braun zusammenfallen würde, war die Entscheidung schnell getroffen: Wir
verbinden das Jubiläum der Zeitschrift mit dem Geburtstag der
Kulturtheoretikerin, Autorin und Filmemacherin, wie sich Christina von Braun
auf ihrer Homepage selbst beschreibt, nehmen also das Jubiläum zum Anlass, um
den Geburtstag zu feiern und den Geburtstag, um auf das Jubiläum hinzuweisen.
Der Grund für die schnelle Entscheidung lag nicht nur darin, dass Christina
von Braun eine langjährige Autorin der Philosophin
ist, eine Mitdenkerin, Freundin und Doktormutter und auch nicht allein in der
schöpferischen und über die Grenzen des Akademischen weit hinausreichenden
Wirkung ihrer Texte, Bücher und Filme. Worauf wir mit dieser Nummer vielmehr
besonders hinweisen möchten, ist die Wirkung, die sie als Professorin und
Hochschullehrerin entfaltet. Dies zum einen, weil der Bereich der Lehre und
die Pflege einer von Großzügigkeit und Offenheit getragenen Kultur des
Denkens zum gegenwärtigen Zeitpunkt des Umbaus der deutschen Universitäten
besonderer Sorge bedürfen. Zum anderen aber auch, weil wir zwischen dem
hochschulpolitischen Engagement Christina von Brauns und dem Anliegen, das
dem Konzept der Philosophin zu
Grunde liegt, eine Parallele sehen. Es ist das gemeinsame Anliegen, die
Grenzen zwischen Universität und Gesellschaft offen zu halten und freien
Geistern, um mit Nietzsche zu sprechen, einen Ort im universitären Diskurs
bereit zu halten. Christina von Braun ist seit 1994
Professorin am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu
Berlin. In dieser Zeit schuf sie an ihrem Lehrstuhl einen Raum für
öffentliches und gemeinsames Nachdenken, der von einer emphatischen Politik
des Ermöglichens getragen ist. Diese Politik bringt keine Schule hervor,
fördert jedoch eine Kultur des freien Denkens und eine Wissenschaftspraxis,
in der die Ergebnisse nicht schon vor der Durchführung der Forschungsprojekte
bekannt sind. Sie ist, wie wir in der Vorbereitung dieses Heftes erfahren
konnten, schulbildend in dem Sinn, dass sie die Grundlagen für eine Tradition
bereitstellt, in welcher die Forschung entlang der Kategorie Geschlecht an
ein durchaus emphatisches Verständnis des grenzüberschreitenden – dabei
die eigenen Grenzen jedoch nicht aus dem Blick verlierenden – Denkens
bindet. Alle Autorinnen des vorliegenden Bandes
„Schönheit und Schwindel. Geschlecht und Geschichte“ verbinden
Berührungspunkte mit der Geschichte und/oder dem Denken von Christina von
Braun. Viele sind ehemalige Studentinnen, einige Doktorandinnen, andere Habilitandinnen.
Manche sind bereits als Autorinnen der Philosophin
bekannt, wie die französische Philosophin und Psychoanalytikerin Monique David-Ménard, andere, wie die
israelische Schriftstellerin Efrat
Mishori möchten wir auf diesem Weg unseren LeserInnen bekannt machen. Als besonderes Präsent empfinden wir den
Beitrag von Monique David-Ménard, mit dem wir den Band eröffnen. Sie
beschreibt entlang der Erinnerungen an die eigene intellektuelle Geschichte
das komplexe Verhältnis von Psychoanalyse und Philosophie, das die Debatten
im Paris der 1970er Jahre prägte – die Zeit, die Christina von Braun
selbst, noch nicht Professorin und Beamtin, als freie Autorin und
Filmemacherin in der Hauptstadt Frankreichs verlebte. Es ist ein Stück
Ideengeschichte aus der Perspektive einer jungen Philosophiestudentin, die
sich 1969 auf die Agrégation vorbereitet. Monique David-Ménard studierte bei
Georges Canguilhem Wissenschaftsgeschichte, besuchte die Vorlesungen von
Lacan, ließ sich selbst zur Psychoanalytikerin ausbilden und schrieb ihre
Dissertation über Kant und Swedenborg, während Barthes, Deuleuze, Foucault
und Derrida ihre neuesten Forschungsergebnisse veröffentlichten. Monique
David-Ménard zeichnet das Bild einer lebendigen intellektuellen Szene, die
den Rahmen bildet, innerhalb dessen im Paris der siebziger Jahre die Frage
nach der Reflexion auf die Beziehungen der Geschlechter gestellt und sehr
unterschiedlich beantwortet worden ist. Sie schließt ihre Erinnerungen mit
einem nachdenklichen Kommentar zu den unterschiedlichen Wegen, die das Denken
der Geschlechterdifferenzen in Frankreich, Deutschland und im
englischsprachigen Raum ging und der Frage, ob die Psychoanalyse wohl heute
noch die Grundlagen für eine Theorie liefern kann, die sexuelle Differenz
nicht nach dem Modell einer misogynen Heterosexualität denkt, sondern offen
ist für die Kritik von „queer“. Der allerletzte Satz richtet sich
freilich an Christina von Braun und und fragt mit Blick auf ihren
allerersten, 1975 in französisch publizierten Artikel „En Allemagne:
une psychanalyse ‚reconnue d’utilité publique‘“, nach
Christina von Brauns heutiger Einschätzung der unterschiedlichen Rolle,
welche die Psychoanalyse jeweils in Deutschland und in Frankreich spielt. Monique David-Ménard weist in ihrem
Beitrag auf die Verknüpfung zwischen der öffentlichen Rolle der Psychoanalyse
und dem juristischen Status der Familie hin. Diese Verbindung spielt
insbesondere in der Debatte über die „Homoparantalité“, die
homosexuelle Elternschaft, eine zentrale und kontroverse Rolle in Frankreich.
Die Familie, oder genauer, die besondere Affiliation zwischen Familie und
Tragödie oder, noch konkreter, die in der Institution der Familie
eingeschlossene Gewalt und die Frage, wie dem aus dieser Gewalt
entspringenden „gierigen Todesorden“ zu entkommen ist, ist das
Thema des Essays von Efrat Mishori.
Die namhafte israelische Lyrikerin, die sich selbst als „non-poetical
poet“ bezeichnet und die Form des Essays als eine besondere
dichterische Herausforderung betrachtet, entdeckt in der Poetik von
Aristoteles und in seiner Bestimmung des Tragischen den Faden, der sie zu
einer Neuerzählung der Geschichte von Antigone führt. Die Stärke ihres
dichterischen Denkens zeigt sich in der Präzision und in der Schlichtheit des
sprachlichen Ausdrucks. So erweist sich in Efrat Mishoris Reformulierung der
besonderen Leistung von Antigone: „Zielbewusst und mit ihrer ganzen
Macht hat sie die Bombe angeschaltet, die in all jenen tickt, die ins Leben
desertierten“, die ungeheuerliche Aktualität und die politische Brisanz
ihrer Überlegungen. Es versteht sich von selbst, dass angesichts der
Sorgfalt, die in Mishoris Schreiben der Sprache zukommt, die Qualität der
Übersetzung umso wichtiger ist. Wir möchten deshalb an dieser Stelle Itta Shedletzky für ihre kongeniale Übersetzung
ganz besonders danken. Die Frage der Gewalt steht auch im Zentrum
von Katrin Peters’ subtiler
Analyse des kontrovers diskutierten und durchaus schockierenden Films der
französischen Regisseurin Claire Denis „Trouble Every Day“
(Frankreich 2001). Ausgehend von Christina von Brauns These des
Wirklichkeitseffekts des Blutes fragt sie, wie Übersetzungen des
Vampir-Motivs im Hinblick auf gegenwärtige Begriffe von
„Geschlecht“ und „Geblüt“ aussehen könnten. Dabei ist
die Beobachtung zentral, dass Reproduktion, Verwandtschaft und die
„Wahrheit des Körpers“, so Peters, „heute über ganz andere
Körpersubstrate und organische Substanzen verhandelt werden“ als das
Blut. Sie kommt zu dem überraschenden und unmittelbar einleuchtenden Schluss,
dass die Zurschaustellung der perversen Lust in Denis’ Film nicht auf
die Opposition von Normalität und Perversion zielt, sondern auf die
Opposition zwischen „dem Begehren des Subjekts und dem Positivismus der
Neurowissenschaften“. Der dargestellte Gewaltexzess richtete sich in
dieser Perspektive gegen die „Pharmakologie der Libido“, in deren
Mittelpunkt nicht mehr das „Aufwallen des Blutes“ steht, sondern
das Funktionieren des Gehirns. Den unterschiedlichen wissenschaftlichen
Vorstellungen, welche dem Begriff des Lebens in den Lebenswissenschaften
selbst und den öffentlichen Debatten über die Reproduktionstechnologien und
den nötigen Schutz des Lebens zugrunde liegen, geht die Biologin und
Philosophin Kerstin Palm nach. Sie
fragt in ihrem Aufsatz nach den Überlagerungen der Entstehungsgeschichte der
Biologie im 18. Jahrhundert mit außerwissenschaftlichen Vorstellungen, welche
die Konzepte des Lebensbegriffs bis heute prägen. Ihre These kulminiert in
der Feststellung, dass die drei Strömungen der romantischen Naturphilosophie,
des Vitalismus und des Mechanismus, welche in die frühe Biologie eingeflossen
sind, ein „Repertoire an Sichtweisen und Ansprüchen für die Auslegung
des Lebensbegriffs“ zur Verfügung stellen, auf das während des ganzen
20. Jahrhunderts und noch heute zurückgegriffen wird. Kerstin Palm versteht
ihre Darstellung als Intervention gegen die „Geschichts- und
Kontextvergessenheit“, welche die Debatten über den Begriff „des
Lebens“ begleiten. Im Gegenzug plädiert sie mit Donna Haraway dafür,
die Verantwortung für die Begriffe zu übernehmen, die man benutzt. Damit baut
sie eine Brücke zu einem Thema, das die Schriften und Filme von Christina von
Braun durchzieht und auch im Zentrum von zwei Beiträgen dieses Bandes steht:
Die Frage nach der gesellschaftlichen Position und Funktion der
Intellektuellen in der Geschichte, vor allem der deutschen Geschichte der
letzten zweihundert Jahre. Ulrike Auga
differenziert und entmystifiziert die Aura, die den Begriff der
Intellektuellen umgibt, indem sie zunächst die theoretischen Konzepte
vorstellt, mit denen das Phänomen der Intellektuellen beschrieben wird und
dann die Geschichte des Begriffs der Intellektuellen bis Fichte
zurückverfolgt, der sie in sein Konzept einer „nationale
Universität“ einband und ihre Aufgabe als Stärkung der jungen Nation
definierte. In eindringlicher Weise macht Ulrike Auga deutlich, dass die
Frage der Positionierung der Intellektuellen „ins Zentrum des
Funktionierens des Nationalstaats“ führt. Intellektuelle wirken, so
Auga, auf die Diskurse ein „und zwar sowohl auf die dominanten wie auf
die dissidentischen“. Aus der Einbindung der Universität in die
nationalen Belange des Staates folgert sie, dass die Institutionalisierung
von Gender Studies und ihres transdisziplinären Anspruchs durchaus als Angriff
auf die „nationale Universität“ betrachtet werden kann,
allerdings nur dann, wenn Gender Studies nicht im Konzept des Gender
Mainstreaming aufgehen, sondern an ihrem politischen Anspruch, einer
transnationalen und dissidentischen Praxis festhalten. Eine fast vergessene
nationalismuskritische Intervention von Intellektuellen ruft Dorothea Dornhof in ihrem Beitrag über
die Zeitschrift „Die Wandlung“ in Erinnerung, die vom November
1945 bis August 1949 von Dolf Sternberger, unter der Mitwirkung von Karl
Jaspers, Alfred Weber und Werner Krauss in Heidelberg herausgegeben wurde.
Sie betont die Aktualität dieses Versuchs einiger Intellektueller unmittelbar
nach dem Zweiten Weltkrieg, die Schuld der Deutschen anzunehmen und ihr durch
eine Neuorganisation des Wissens zu begegnen, in der mit der dem
Humboldtschen Universitätsideal folgenden Vorstellung der
„Politikabstinenz“ aus der Einsicht gebrochen wurde, dass diese
Abstinenz im Kern Abstinenz von der politischen Verantwortung bedeutet. Die
Verantwortung anzunehmen heißt, wie Dornhof eindringlich deutlich macht, sich
nicht im „Behagen der Schuld“ (Christina von Braun) einzurichten,
sondern sich im grenzüberschreitenden Austausch von Universität und
Gesellschaft, von unterschiedlichen Disziplinen, von Kunst und Wissenschaft
jenem Begriff des Denkens zu verpflichten, der sich im Sinne Hannah Arendts
als kosmopolitisch versteht. Dem Zusammenhang von Erinnerung,
Gemeinschaftsbildung, dem Phantasma der Unversehrtheit und dem Nachleben der
Religionen in der Moderne gehen die Beiträge der Religionswissenschaftlerin Insa Eschebach und der
Kulturwissenschaftlerin Julia Köhne
nach. Unter dem Titel „Kommemoration. Formensprachliche Elemente des
öffentlichen Gedenkens im 20. Jahrhundert“ zeigt Insa Eschebach, dass
das Totengedenken entgegen dem Anschein keine anthropologische Konstante im
Umgang des Menschen mit seiner Versehrtheit ist, sondern in allen konkreten
Akten öffentlichen Gedenkens vielmehr spezifische politische Interessen und
Machtfaktoren wirksam sind. So macht sie an unterschiedlichen historischen
Beispielen deutlich, dass das Gedenken an die Toten immer Gedenken an die
eigenen Toten und eben dadurch Gemeinschaft konstituierend ist. Zu einem nicht weniger ernüchternden
Schluss kommt Julia Köhne in ihrer Analyse der britischen Reality-TV Serie
„The Trench“, in der Freiwillige gebeten wurden, die Geschichte
des 10. Batallions nachzuspielen, das im Ersten Weltkrieg vorerst dem Tod zu
entkommen schien, dann jedoch, wie so viele andere Bataillone, ebenso fast vollständig
zugrunde ging. Erinnert sich das Kollektiv, so fragt Julia Köhne durch diese
mediale Re-inszenierung an die eigene Traumatisierung, oder werden darin
Heilungsphantasien mobilisiert, welche suggerieren, dass die Geschichte im
Nachhinein geändert werden könnte? In einer aufmerksamen Deutung führt sie
die Leserinnen bis an jenen Punkt, an dem deutlich wird, dass das im
Fernsehen durchgespielte Re-enactment seinen Höhepunkt darin findet, dem
sinnlosen Tod so vieler junger Soldaten im Nachhinein Sinn zu verleihen. Damit
freilich könnte, wie sie kritisch konstatiert, das „Kriegsspiel von
Neuem beginnen“. Als zwei Versuche bezeichnen Bettina Mathes und Susanne Baer mit Nachdruck ihre
Beiträge, die sich beide auf das Phänomen der Transdisziplinarität und die
mit ihr eröffnete Freiheit des Spekulierens beziehen. Einem möglichen
Zusammenhang zwischen der verdrängten Geschichte der Psychoanalyse und der
Gender Studies denkt Bettina Mathes nach, zu einem Ausflug in Überlegungen
zum Zusammenhang von Schwindel, Schwanken, Regeln, Wissenschaft und Recht
lädt die Rechtswissenschaftlerin Susanne Baer ein. Einen neuen Zugang zu
Theodor W. Adornos Denken der Geschlechterdifferenz eröffnet die
Politikwissenschaftlerin Eva Maria
Ziege. Kann, so fragt sie, zumindest der frühe Adorno wider allen
Anschein und bisherigen Resultate feministischer Befragungen doch als
Vertreter der Gender Studies avant la lèttre bezeichnet werden? Den Schluss des Heftes bildet der Beitrag
der Religionswissenschaftlerin Susanne
Lanwerd „Mnemosyne und ihre Töchter. Erinnerung und Geschichte als
Thema aktueller künstlerischer Produktionen“. Entlang der Darstellung
der Arbeiten der Künstlerinnen Sigrid Sigurdsson und Ayse Erkmen und der
Dokumentation der historischen Quellen der Salonkultur um 1800 und ihrer Heterogenität
in Barbara Hahns „Jüdin Pallas Athene“ weist uns Susanne Lanwerd
auf gelungene Formen der Erinnerung und der Verschränkung von Kunst und
Wissenschaft hin. Damit schließen wir den Band mit einem versöhnenden
Ausblick, nicht ohne den Autorinnen herzlich zu danken und Christina von
Braun im Namen von uns allen herzlich alles Gute zu wünschen. Die Herausgeberinnen
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