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DIE PHILOSOPHINForum für feministische Theorie und PhilosophiePhilosophin 29 Feministische Philosophie in Italien Vorwort
Diese
Nummer mit dem Schwerpunkt Feministische
Philosophie in Italien ist wie schon die Nummer 26 „Feministische Philosophie
in Spanien“ eine Sondernummer. Wir haben mit dieser Italiennummer wieder einen
Schwerpunkt komplett in die Verantwortung von Gastherausgeberinnen gestellt
und möchten an dieser Stelle Sara
Fortuna und Kathrin Heinau und
allen AutorInnen und ÜbersetzerInnen für ihren großen Einsatz danken. Das Thema der aktuellen Nummer ist auch für andere
Sprachräume denkbar, für den französischen, polnischen, skandinavischen und
südamerikanischen zum Beispiel. Der aktuelle Schwerpunkt zeigt deutlich, wie
wichtig es für die Diskussionen in der Philosophie und in der feministischen
Theorie ist, Sprachgrenzen zu überschreiten, Übersetzungen zu versuchen und
damit auch Diskursräume zu öffnen, wie sehr wir hierzulande in sehr
begrenzten Denkräumen arbeiten. Ursula Konnertz Astrid
Deuber-Mankowsky Einleitung Feministische
Philosophie in Italien? Hierzulande kennt man Rossana Rossanda. Darüber
hinaus hat man vielleicht das Denken der Geschlechterdifferenz der Gruppe Diotima aus Verona schätzen gelernt
oder einmal über das südländisch mutterbezogen erscheinende Konzept affidamento der Gruppe um die Libreria delle Donne di Milano
gestritten – Berührungen, die durch die Übersetzungen der Texte dieser
Gruppen möglich wurden, die Ende der 80er Jahre in Deutschland und Österreich
erschienen. Seitdem ist es relativ ruhig um die deutsche Rezeption
italienischer feministischer Philosophie geworden. Von der in Italien so
wichtigen Philosophin Adriana Cavarero zum Beispiel wurde in den letzten
Jahren kein Buch mehr übersetzt. Dies entspricht der Ignoranz des produktiv
gebliebenen Denkens und Schreibens von Luce Irigaray, deren Texte gleichfalls
seit Jahren nicht mehr übersetzt werden, die aber trotz der Schwierigkeiten
der Lacaniarinnen und Lacanianer, in der freudianisch und jungianisch
geprägten Psychoanalyse Italiens Fuß zu fassen, durch Übersetzungen ins
Italienische dort zumindest die größere Chance haben weiterzuwirken als in
Deutschland. Die Herausgeberinnen möchten aktuelles feministisches
Denken in Italien in einer Auswahl dokumentieren, die viel umfangreicher
hätte sein können. Die Debatte über Geschlechterdifferenz und die
symbolischen und politischen Deklinationen der Dualität der menschlichen
Natur sind noch oder wieder sehr lebendig. Einerseits ist hier die starke politische
Tradition der italienischen feministischen Philosophie der sechziger und
siebziger Jahre und die spätere filosofia
della differenza als wichtigste historische Referenz in vielen der
Beiträgen präsent; andererseits kommen auch „Außenseiterinnen und
Außenseiter“ zu Wort, die keinem bestimmten Kreis, keiner bestimmten
Tradition von politischem oder theoretischem Feminismus angehören. Den differenzphilosophischen Ansatz hat Fabrizia Giuliani
für das Nachdenken über eine beinahe utopische polis fruchtbar gemacht, in der das universalistische
Gleichheitsprinzip durch eine gerechte „Ungleichheit“, durch eine
Dualität des Menschengeschlechts, das nicht eins ist, ersetzt wird (Fabrizia Giuliani: Mit Worten. Unterwegs
zur Sprache der weiblichen Freiheit). Fabrizia Giuliani geht hier einen
ganz eigenen Weg jenseits des Separatismus der Geschlechter und befragt
politisches Denken, Psychoanalyse und Sprachphilosophie auf ihre Tauglichkeit
für dieses Projekt. Dem Konzept des affidamento,
der Anerkennung und Nutzung der Autorität von Frauen untereinander, scheint
die Position Matri_x verwandt, die ein Weg zu praktischer und theoretischer,
vor allem sprachlich verfasster weiblicher Genealogie markiert (Federica Giardini: Ein Name. Eine
Position. Matri_x. Zur Entstehungsgeschichte einer geschlechtsgenealogischen
Position). Federica Giardini beschäftigt sich schon lange mit der
Philosophie von Luce Irigaray, wollte aber für Die Philosophin lieber jenen „Bewegungsraum“ der in Matri_x versammelten thirtysomethings darstellen, deren
gemeinsamer Ausgangspunkt Beziehungen zu älteren Feministinnen waren, die nun
reflektiert werden wollten, um sich selbst historisch zu positionieren. Wir
laden die Leserinnen und Leser ein, sich mit den Verzweigungen dieser
Position, deren Reduktion in einer Darstellung als Zeitschriftenbeitrag fast
einer unzulässigen Zurichtung gleichkommt, in ihrem brandneuen
Internetauftritt www.matri_x.com vertrauter zu machen. Die Antinomie der Geschlechterdifferenz in einem
physiognomischen Konzept der Symbolisierung beliebig vieler möglicher
Geschlechter aufzulösen, ist das Vorhaben des Beitrags von Sara Fortuna (Sara Fortuna: Gesichter, Wahrnehmung,
Symbolisierung: Die Geschlechterdifferenz zwischen dritter und zweiter
Person). Die grammatische zweite Person erscheint hier als Du-Dimension,
die das Erkennen des „wahren“ Geschlechts des anderen von einer
tiefen Empathie und Anerkennung seiner Rechte und seines Begehrens abhängig
macht. Franca D’Agostini und Roberta De Monticelli sind
keine ausgewiesen feministischen Philosophinnen, vertreten aber ein
ontologisches bzw. ein phänomenologisches Denken, das für feministische
Positionen von Bedeutung sein kann. Franca D’Agostinis großes Verdienst
ist es, zwischen angelsächsischer analytischer Philosophie und kontinentaler
Tradition vermittelt zu haben, indem sie den linguistic turn des 20. Jahrhunderts als gemeinsame Wurzel
ausmachte. In ihrem Beitrag für diesen Band hat die Philosophin über die
Notwendigkeit ontologischer Reduktion im politischen Bereich nachgedacht (Franca D’Agostini: Was bedeutet es,
eine Frau zu sein? Ontologische Grundlagen der Geschlechterdifferenz zwischen
Begriffsanalyse und politischer Theorie). In dem Porträt der Philosophin Roberta De Monticelli, das
Paloma Brook zeichnet, lernen wir ein persona-Konzept
kennen, das „den vergessenen Kontinent der Gefühle, Leidenschaften,
Empfindungen“ einbezieht und bis zu einer „Theorie des Fühlens
als Grundlage einer Ethik“ gelangt (Paloma
Brook: Zu den Personen selbst. Ein Porträt der Philosophin Roberta De
Monticelli). Diese Personologie entgeht den diversen Spielarten des
moralischen Nihilismus und Relativismus, indem sie den ontologischen Begriff
der Person als objektives Kriterium einsetzt. Obwohl sie sich dezidiert nicht
auf eine feministische Tradition bezieht, sondern sich sogar ins
Streitgespräch mit Luisa Muraro oder Adriana Cavarero begibt, ist es
vielleicht kein Zufall, dass wichtige Referenzfiguren für De Monticelli
Philosophinnen sind: Edith Stein, Simone Weil und Cristina Campo. Ein Interview,
dass Paloma Brook und Sara Fortuna führen konnten, vervollständigt das Bild
der Genfer Professorin („In
Berührung mit etwas, das mich verändert“. Roberta De Monticelli im
Gespräch mit Paloma Brook und Sara Fortuna). Das Interview, das Sara Fortuna mit Rosa Braidotti geführt
hat, lässt hingegen eine Denkerin zu Wort kommen, deren Leben durch
„Wanderungen“ geprägt war und die die Vorstellung eines
nomadischen Subjekts in ihre Philosophie aufgenommen hat. Als Italienerin,
die außerhalb Italiens lebt, hat Rosi Braidotti den „inneren Blick von
Draußen“ und positioniert sich lustvoll „exzentrisch“. Rosi Braidotti ist auch eine der Autorinnen der 2003
erschienenen Autobiographie zu viert Baby
Boomers, die Valentina Bruno und Michela Tardella vorstellen (Michela Tardella und Valentina Bruno:
Parallele Leben, parallele Reflexionen. Zu Rosi Braidotti, Roberta Mazzanti, Serena Sapegno,
Annamaria Tagliavani: Baby Boomers). Die Referentinnen,
Studentinnen von Serena Sapegno an der Universität La Sapienza in Rom, scheuen sich nicht, ihr Fasziniertsein von
der Vielstimmigkeit ihres Gegenstands zu zeigen, und erlauben sich einen
recht frei reflektierenden, dabei zitatreichen Rezensionsstil. Vielstimmigkeit spielt im Schreiben weiblicher Autoren
schon lange eine Rolle, so in der philosophischen Sprache von Adriana
Caverero, deren Buch A più voci
Judith Kasper rezensiert. Judith Kasper zeigt, dass Cavareros Arbeit an voci, Stimmen, „keine
ästhetische Frage, sondern eine entschieden politische ist“ und dass
sie die Musikalität der Stimme interessiert „als ethische Dimension, in
der sich die irreduzible Singularität des Einzelnen ebenso ausdrückt wie
seine unabdingbare Bezogenheit auf den Anderen“. Die Logik in den Mythen, die Logik des Geschlechts, sind
Gegenstand von Pierangiolo Berretonis Buch La logica del genere, das Manuele Gragnolati rezensiert hat. Wie
Manuele Gragnolati zeigt, geht der Autor den Figuren der Männlichkeit als
zweifelhaften Prototypen sowie den diversen „ausgeschlossenen
Dritten“ der binären Logik nach, die – so die Ansicht von
Berretoni – vermieden werden kann (Manuele
Gragnolati: Herkules vom Scheideweg abbringen oder gegen einschränkende
Konstruktionen. Zu Pierangiolo Berretoni: La logica del genere). Last but not least zeichnet Christoph Holzhey
nach, wie ein Sammelband italienische Positionen einem nordamerikanischen
Publikum erschließt (Christoph Holzhey:
Sexuelle Differenz Made in Italy – Bemerkungen zu einem
US-Importversuch. Zu Italian Feminist Theory and
Praxis: Equality and Sexual Difference, edited
by Graziella Parati and Rebecca West). Damit schlägt unser Heft abschließend den Bogen
über den Ozean. Das
Denken der Geschlechterdifferenz in Italien hat immer eine soziale und
politische Dimension vorausgesetzt, und die Auseinandersetzung, die konkreten
Beziehungen mit anderen Frauen waren und sind noch der Ausgangspunkt jeder
Reflexion. Es ist aber auch wichtig, dass die italienische Debatte sich
erweitert und neue Stimmen, neue Positionen einbezieht. Die feministische
Philosophie kann nur dann politisch wirken, wenn sie wirklich sichtbar und
aktiv in der polis ist, d.h. vor
allem, der italienischen Tradition folgend, die kollektive Diskussion als
erste Bedingung betrachtet. Die Wahl der Beiträge entspricht dieser
„dialogischen“ Orientierung. Federica Giardini, Paloma Brook und
Sara Fortuna haben sich bereits während ihrer Studienzeit an der Universität La Sapienza in Rom gemeinsam mit
Differenzphilosophie und feministischem Denken beschäftigt. Zu dieser Gruppe
von Studentinnen und Dozentinnen gehörten auch Fiorella Bassan, Elena
Gagliasso und Katja Tenenbaum, denen hier für ihr damaliges großzügiges
Engagement herzlich gedankt sei. 199.. gründete die Gruppe die Zeitschrift Sophia, die die an der Universität La Sapienza fehlende Plattform für
feministische Fragen durch eine eigenständige ersetzte. Fabrizia Giuliani,
Monica Pasquino und Sara Fortuna stehen seit Ende 2001 in lebhafter
Diskussion, die sie auch in Seminaren an der Universität von Cosenza
weiterentwickelt haben und die 2003 zu einem gemeinsamen Buchprojekt mit dem
Titel Storia di femministe filosofe
rumorose führte. Wir
danken allen Autorinnen und Autoren der Beiträge und besonders auch den
Übersetzerinnen und Übersetzern, ohne deren Arbeit des Verstehens, die bis
ins einzelne, unübersetzbar scheinende Wort reicht wir viel weniger Kenntnis
voneinander hätten. Sara Fortuna und Katrin
Heinau
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