DIE PHILOSOPHINForum für feministische Theorie und PhilosophiePhilosophin 23 Gender Studies und Interdisziplinarität EINLEITUNG
Das Schwerpunktthema dieses Heftes „Gender Studies und Interdisziplinarität“ ist komplexer als es auf den ersten Blick scheint. Die Frage nach dem Ort der Geschlechterstudien im Reigen der Disziplinen umfaßt zum einen deren – endlich auch in den deutschsprachigen Ländern – stattfindende Institutionalisierung an den Universitäten und berührt zum anderen die Fragen, die sich mit der aktuellen Veränderung der Produktion, der Verteilung und der Bedeutung des Wissens in unserer als „Wissensgesellschaft“ charakterisierten Gesellschaft stellen. Der Begriff der „Wissensgesellschaft“ weist darauf hin, daß Wissen, wie Heike Kahlert in ihrem Beitrag „(K) ein Fach wie jedes andere? Feministische Lehre im Professionalisierungsprozeß“ deutlich macht, zu einem relevanten Produktionsfaktor geworden ist. Unser Alltag ist immer stärker von einem Prozeß der Verwissenschaftlichung durchdrungen, der sich von der Zeugung bis zur Verlängerung des Lebens der einen über den Tod der anderen hinaus erstreckt. Dabei sind die Universitäten nicht mehr die einzigen Orte, an denen Wissen hergestellt und vermittelt wird. Um sich die Kompetenzen des sogenannten „Wissensmanagments“ zu erwerben, greifen auch Universitätsangehörige auf die Angebote der Marktwirtschaft zurück. Das vieldiskutierte Verhältnis zwischen Universitäten und Gesellschaft steht zunehmend unter dem Zeichen eines Konkurrenzdruckes von der Wissensindustrie auf die - noch - am humboldtschen Bildungsideal ausgerichteten Hochschulen. Lehrende wie Studierende sind in einen Prozeß involviert, in dem sich die Universitäten aus staatlichen Bildungs- und Forschungsstätten in Dienstleistungszentren für den Markt und die Wirtschaft verwandeln. Dies alles deutet darauf hin, daß der Status des Wissens, sein Verhältnis zur Macht und vielleicht am wichtigsten das Verhältnis von Wissen, Macht, Wissenschaft und Leben im Zuge seiner Vermarktung einer radikalen Verwandlung unterworfen ist. Just zu diesem Zeitpunkt siedeln sich feministische Wissenschaft und Geschlechterstudien als eigene Studiengänge in den Universitäten an. Wie ist dieser Einzug in die Institution zu deuten? Ist er nur möglich, weil die Universitäten ihr Monopol auf Wissensproduktion und -vermittlung und damit auch an Bedeutung und Macht verlieren? Oder ist er umgekehrt - aus der wissenschaftskritischen Perspektive der feministischen Theorie betrachtet – eben erst jetzt, in dem Moment möglich, in dem sich mit der Monopolstellung auch die starren Strukturen der Universität auflösen? Zeiten von tiefgreifenden Veränderungen sind offener für Experimente; wie jede Revolution eröffnet auch die stattfindende Umwälzung neue Denkwege, die in den alten Strukturen schlicht indiskutabel gewesen wären. Wäre dann die endlich stattfindende Institutionalisierung von Geschlechterstudien als Teil dieser aktuellen Veränderungen der Universitäten selbst zu verstehen? Es spricht einiges dafür. So ist es kein Zufall, daß der bundesweit erste Magisterteilstudiengang „Gender Studies/ Geschlechterstudien“ im Wintersemester 1997 ausgerechnet in Berlin an der Humboldt-Universität eröffnet wurde, die, am Schnittpunkt zwischen Ost- und West, im Zentrum unterschiedlicher Transformationsprozesse stand. Die vorausgegangene Erfahrung, daß ein ganzer Staat sich auflösen kann, hat nicht zuletzt einer institutionellen Phantasie Raum gegeben, die die Etablierung von Gender Studies als „Grenzgängerin zwischen den Diszplinen“ überhaupt erst möglich gemacht hat. Doch welche Folgen zieht die Institutionalisierung für Praxis und Selbstverständnis der Gender Studies selbst nach sich? Was bedeutet es für die Geschichte und das Selbstverständnis der feministischen Theoriebildung, daß Gender Studies gerade jetzt in die Universitäten wandern? Feministische Wissenschaft gibt sich, wie Sabine Hark in ihrem Beitrag „Diszipliniertes Geschlecht. Konturen von Disziplinarität in der Frauen- und Geschlechterforschung“ unterstreicht, als „undiszipliniert“, als „‘interdisziplinär‘, ‚innovativ‘ und ‚kritisch‘“. Verglichen mit anderen Wissenschaftsrichtungen sei, so zitiert Kahlert eine Untersuchung von Helgard Kramer, die Hochschätzung des Interdisziplinären in der Frauen- und Geschlechterforschung am ausgeprägtesten. Feministische Wissenschaft versteht sich desweiteren als wesentlich reflexiv, als wissenschaftskritisch. Damit verbindet sich die Hoffnung, ja die Erwartung, daß mit der Etablierung von Gender Studies die Forschung entlang der Kategorie Geschlecht in alle Disziplinen hineingetragen wird. Eine Voraussetzung dafür ist allerdings, daß die Geschlechterstudien in diesem Prozeß nicht selbst in einer Kanonisierung und Disziplinierung erstarren. Doch wie läßt sich eine Grenzgängerin zwischen den Disziplinen als Studiengang etablieren? Unterwirft sich Frauen- und Geschlechterforschung damit nicht zwangsläufig, wie Sabine Hark zu bedenken gibt, dem Prozeß der „Formierung als Disziplin“ und der damit einhergehenden Disziplinierung des Wissens? Was sind anders gefragt die Chancen und wo liegen die Gefahren der Etablierung der Gender Sudies an den Unversitäten? Die Chancen sieht Heike Kahlert z. B. in der Entwicklung eines „feministischen Gedächtnisses“, in der Möglichkeit, eine „Genealogie feministischen Wissens zu tradieren und eine neue Erzählung zu etablieren“. Dazu gehört, wie wir ergänzen würden, die Ansiedlung einer undisziplinierten, interdisziplinären und kritischen Wissenspraxis, die auch der eigenen Kanonisierung gegenüber wachsam bleibt und Ausschlußmechanismen selbstkritisch unterbindet. Die Gefahren benennt Sabine Hark in ihrem Beitrag. Sie kulminieren im „Sieg der Systematik über die Historie“. Die Autorin lenkt den Blick auf die Kosten, die mit der Verwandlung des kritischen, undisziplinierten Wissens in disziplinäres Wissen einhergehen. So werde das Wissen im Zuge seiner Disziplinierung systematisiert, gestrafft und didaktisch aufbereitet, um als „Lehrstoff“ und „sicheres Wissen“ an die Studierenden weitergegeben werden zu können. Die Autorin faßt zusammen „Der Schwerpunkt akademischer Lehre liegt also auf dem Wissen, das diesen Prozeß gleichsam überlebt hat, und nicht die Ausbildung der Fähigkeit zum begründeten Zweifel am systemastisierten Wissensbestand“. Die Folgen der Systematisierung berühren, wie Sabine Hark zeigt, die Frauen- und Geschlechterforschung im Innersten ihres kritischen Selbstverständnisses. Denn die Kanonisierung und Systematisierung des Wissens, kurz dessen Disziplinierung führt die Kanonisierung der Geschichte dieses Wissens mit sich. Dokumentiert wird unter Systematisierungsaspekten, so Hark, nicht die Geschichte der Konflikte, sondern die „Geschichte (der Inhalte) derjenigen, die aus einem Konflikt als ‚Sieger‘ hervorgegangen sind“. Nun bildet die Verpflichtung, Geschichte nicht aus der Perspektive der Sieger, sondern aus der Perspektive der Besiegten, der zum Schweigen verurteilten und der Verschwiegenen zu schreiben eine wesentliche Grundlage des kritischen Selbstverständnisses von Geschlechterforschung. Diese Verpflichtung bezieht sich auch auf den Umgang mit der eigenen Geschichte. So gehört zu dieser Geschichte die Erinnerung an die Seiten-, die Neben- und die Umwege der Theoriebildung. Wenn die Verankerung der Geschlechterstudien in der akademischen Lehre droht, das kritische, undisziplinierte Wissen in gestrafftes, didaktisch aufbereitetes Wissen zu verwandeln, so kommt alles auf die Frage an, ob und wie es möglich ist, Konfliktwissen zu vermitteln. Die Herausforderung liegt somit nicht so sehr in der Herstellung, sondern in der Vermittlung von Wissen. Daran hängt, um auf die Chancen zurückzukommen, die in der Etablierung der Geschlechterstudien an den Universitäten liegen, auch die Herausbildung eines feministischen Gedächtnisses. Damit sind wir bei Fragen der Lehre, die, wie Heide Kahlert moniert, zu den notorisch vernachlässigten Themen in den Diskussionen über die Institutionalisierung von feministischer Wissenschaft gehört. Wir haben uns deshalb entschieden, das „Beschweigen der Lehre“ zu brechen und die Diskussion über die Frage, ob und wie es möglich ist, kritisches, undiszipliniertes Wissen zu vermitteln über einen Einblick in die Praxis zu eröffnen. Das vorliegende Heft beginnt mit drei Beiträgen, die als Vorlesungen im Rahmen der fächerübergreifenden Einführungsvorlesung der Gender Studies im Wintersemester 2000/01 an der Humboldt-Universität zu Berlin gehalten worden sind. Bei dieser Vorlesung handelt es sich um eine von drei einführenden Pflichtveranstaltungen. Sie soll den Studierenden einen Einblick in die Geschichte und in die Bedeutung der Kategorie Geschlecht in den und aus der Perspektive der unterschiedlichen Disziplinen geben. Der Aufbau der Vorlesung wurde nach eingehenden Diskussionen unter den Lehrenden festgelegt. Er beginnt mit einer allgemeinen und zwei spezifischen Einführungen in die beiden Wissenschaftsbereiche des Studiengangs[1]. Daran schließen drei Vorlesungen zum Thema „Ordnung der Geschlechter“, zwei zum Thema „Frauen und sozialkritische Bewegungen“, dann drei Vorlesungen zum Thema „Geschlecht/ Gender als Kategorie“ und vier zur Frage „Differenzen“ an. Die letzte Veranstaltung ist der gemeinsamen Auswertung und Kritik vorbehalten. Die Vorlesung wird begleitet durch ein Tutorium, in dem die von den Vortragenden vorgeschlagenen Texte und die Vorlesungen selbst diskutiert werden. Um den Anspruch auf Interdisziplinarität einzulösen, werden die jeweiligen Schwerpunktthemen aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven beleuchtet. Die vorliegenden Beiträge von Astrid Deuber-Mankowsky und Iris Peinl stammen aus dem Themenbereich „Geschlecht/ Gender als Kategorie“. Die Vorlesung von Gabriele Dietze wurde unter dem Stichwort „Differenzen“ gehalten. Astrid Deuber-Mankowsky thematisiert die Kategorie Geschlecht aus philosophischer Perspektive. Sie führt entlang einer vergleichenden Lektüre der us-amerikanischen Philosophin Judith Butler und der französischen Philosophin Genéviève Fraisse in die Fragen ein, die die „unmögliche Verbindung“ der Begriffe „Kategorie“ und „Geschlecht“ aufwerfen. Die Frage nach dem Geschlecht als philosophischer Kategorie macht auf Schwierigkeiten aufmerksam, die es statt aus dem Weg zu räumen - um der Wahrnehmung der Realität willen - zu sehen und auszuhalten gilt. Diese „Schwierigkeiten“ sind fundamental; sie betreffen das wissenschaftliche Selbstverständnis und daran gebundene Unterscheidungen wie jene zwischen Natur und Kultur und lassen sich, wie die Autorin zeigt, bis in die Ursprünge der wissenschaftlichen Einzeldisziplinen und der als Wissenschaft betriebenen Philosophie, also bis Aristoteles, zurückverfolgen. Iris Peinl ist Soziologin und betrachtet die Forschung entlang der Kategorie Geschlecht in ihrem Beitrag „Puzzlearbeiten. Geschlecht als Kategorie in den Sozialwissenschaften“ aus einer „soziologisch gefärbten Brille“. Dabei geht es ihr auch um die Frage, „inwieweit in dem Prozeß der Herausbildung und Etablierung der Sozialwissenschaften die Kategorie Geschlecht als eine Analyseachse von sozialer UnGleichheit eingelassen ist“. Die wissenschaftsgeschichtliche Befragung der eigenen Disziplin führt sie schließlich zu der aktuellen Frage, wie weit die Erklärungskraft der Kategorie Geschlecht in der gegenwärtigen Umbruchszeit auf dem Arbeitsmarkt reicht, die sich durch eine „Erodierung“ der Geschlechterdifferenz auszeichnet. Die Amerikanistin Gabriele Dietze stellt die Bedeutung der Kategorie Gender im Kontext der us-amerikanischen Cultural Studies vor, in denen Gender als Analysekategorie in einem komplexen und nicht zu ignorierenden Verhältnis zu Race und Class steht. In ihrer Vorlesung mit dem Titel „Race Class Gender Differenzen – betrachtet am amerikanischen Beispiel“ fächert sie das Konzept und die Entstehungsgeschichte des Race-Class-Gender Systems auf, indem sie die Geschichten der us-amerikanischen Genderstudies, jene des Klassenbegriffs und die Geschichte der Rassentheorien und ihrer Kritik darstellt und zusammenführt, ohne dabei Widersprüche bzw. ungelöste Fragen zu nivellieren. Sie beschließt ihre Einführung mit einer Überprüfung der vorgestellten Konzepte am Beispiel des berühmt-berüchtigten und zu einem Medienereignis avancierten O.J. Simpson Prozesses. Um die Frage der „Lehre“ im engeren und in einem weiteren Sinne geht es auch im Interview der vorliegenden „Philosophin“. Unsere Gesprächspartnerin Heidi Schelhowe ist Informatikerin und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Gender-Frage in ihrem Fach. Sie lehrt an der Humboldt-Universität im Bereich „Informatik und Gesellschaft“ und bietet im Studiengang Geschlechterstudien Lehrveranstaltungen an, die für Studierende sowohl der Informatik als auch der Geschlechterstudien offen sind. Die Arbeit mit den Studierenden der Gender Studies ist für sie ein gegenseitiger Lernprozeß. Zu diesem Prozeß gehört das Experimentieren mit neuen Lehr-und Lernmethoden. So haben die bisherigen Erfahrungen gezeigt, daß es einerseits sinnvoll wäre, die der Informatik fachspezifischen Methodiken der Konstruktion zu einem eigenen Bestandteil der Lehre zu machen und andererseits die Studierenden in die Methodiken der Konstruktion zur Entwicklung neuer Konzepte selbst einzubeziehen. Ein solches neues Konzept liegt Heidi Schelhowe ganz besonders am Herzen. Es ist die sogenannte „virtuelle Internationale Frauenuniversität“, die sie in Vorbereitung und im Anschluß an die Betreuung der letztjährigen ifu (Internationale Frauenuniversität) im Netz zusammen mit ihren Mitarbeiterinnen und mit den Teilnehmerinnen der ifu entwickelt und aufbaut. Ihr Antwort auf die Frage nach den Zielen der vifu zeigt ein weiteres Mal, wie eng die Einlösung des kritischen Ansatzes der Geschlechterstudien gegenwärtig mit der Entwicklung neuer Formen gleichberechtiger Wissensvermittlung und offener, inter- wie transdiziplinärer Wissensproduktion verbunden ist: „Mit der vifu wollten wir ermöglichen, daß neue, flexible Strukturen von Wissen gebildet und sichtbar gemacht werden können, die unterschiedliche Sichtweisen widerspiegeln und gleichzeitig einen gemeinsamen Bezug ermöglichen.“ Wie sehr dies auch für die Institutionalisierung der Gender Studies als „Grenzgängerin zwischen den Disziplinen“ gelingt, hängt vom Versuch und vom weiteren Experimentieren ab. Der Studiengang Geschlechterstudien sei, wie Gabriele Dietze vorschlägt, als „Training der Differenzwahrnehmung“ zu verstehen. Damit formuliert sie, was als Anliegen und Subtext nicht nur dem Unternehmen der vifu zugrundeliegt, sondern auch die drei Einführungsvorlesungen, bei allen disziplinär, kulturell, in den unterschiedlichen Temperamenten der Autorinnen und weiteren Kontingenzen begründeten Differenzen vereint. Dieser Konsens schließt ein weiteres Einverständnis ein, das vielleicht eine Antwort auf die Frage sein könnte, was Gender Studies gerade jetzt, angesichts der zunehmenden Vermarktung des Wissens an die Universität des alten Zuschnitts bindet: die Überzeugung, daß den Studierenden die Komplexität zugemutet werden kann, die es ihnen möglich macht, die Realität zu verstehen, in der sie leben. Und die Erfahrung zeigt, daß die Studierenden, die sich für Gender Studies entscheiden, diese Zumutung, wenn sie denn gut begründet wird, als Chance wahrnehmen und schätzen. >[1] Die Prüfungs-und Studienordnung ist im Internet unter folgender Adresse nachzulesen: http://www2.hu-berlin.de/genderstudies/index.html Die Herausgeberinnen
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