DIE PHILOSOPHIN

Forum für feministische Theorie und Philosophie


Philosophin 16

Philosophie und Literatur


EINLEITUNG

 

"Frauen sollen nicht Philosophie studieren. Frauen können nicht denken, die sollen lieber Literatur studieren." Dieser Satz, Ende der siebziger Jahre von einem gestandenen Philosophieprofessor geäußert, ist in verschiedenen Hinsichten denkwürdig. Er verrät nicht nur, wie tief Philosophie mit dem Geschlecht verstrickt ist, sondern spricht zugleich aus, wie sich die geschlechterdifferente Verteilung von Denken und Nichtdenken auf die Diziplinen übertragen. Der betreffende Professor war längst nicht mehr auf der Höhe des Denkens seiner Zeit. Die Berührung, Annäherung, Vereinigung, ja die Verkehrung und gegenseitige Ansteckung von Philosophie und Literatur hatte längst stattgefunden. "Philosophie dürfte man eigentlich nur dichten", gab Wittgenstein angesichts der Erfahrung zu bedenken, daß die Sprache es ist, die nicht nur die Grenzen des Sagbaren, sondern auch der Erkenntnis bezeichnet. So führte also die Erfahrung der Begrenztheit des Denkens zur Liaison von Philosophie und Literatur. - Und dann wäre die bereits von Kant erwiesene Endlichkeit des Denkens, womit er die Schwelle zur Säkularisierung überschritt, der tiefere Grund für die zunehmende Schwierigkeit, Philosophie von Literatur und Literatur von Philosophie zu unterscheiden. Was aber hieße das für das Verhältnis der Disziplinen Philosophie und Literaturwissenschaft und was für das Verhältnis der Geschlechter? Welche Früchte trug ihrerseits die feministische Theorie, die Philosophie und Literaturwissenschaften im Verlauf der letzten zwei Dekaden mit der Frage nach dem Geschlecht konfrontierte - eine Frage, die nicht nur von der Dekonstruktion, - immerhin einer der einflußreichsten gegenwärtigen Denkrichtungen - aufgenommen und multipliziert wurde? Und was bedeutet diese Verbündung von Philosophie und Literatur für philosophierende Frauen und dichtende Männer?

Es scheint jedenfalls kein Zufall, daß die Philosophin Simone de Beauvoir, die schrieb um leben zu können, dieses Leben als unentschieden gebliebenen Kampf zwischen Philosophie und Literatur empfand. Sartre, so gab sie unumwunden zu, - und wiederholt es in dem fiktiven Interview, das Ursula Konnertz für diesen Band entworfen hat - war der größere Philosoph von ihnen beiden. Doch, schwingt in diesem Kompliment nicht auch ein Überlegenheitsgefühl der Literatin mit, die schon als junge Frau den ambitionierten Begriff des "metaphysischen Romanes" prägte und ihre Hochschätzung der Literatur nie verhehlte? - Die sich von der Literatur in Erregung versetzen ließ und literarisch zum Ausdruck brachte, wofür die Philosophie keine Worte zur Verfügung stellte? Warum aber verursacht der Satz des inzwischen gestorbenen Professors noch immer diesen leichten Stich? Sollte die Literarisierung der Philosophie das symbolische Gefälle zwischen Philosophie und Literatur und zwischen ëMännlichemí und ëWeiblichemí, unberührt gelassen haben?

Vielleicht läßt sich zumindest das feststellen: Die Zuwendung der Philosophie zum "Hinzunehmenden, Gegebenen" (Wittgenstein) der Sprache folgt der kantischen Verpflichtung der Philosophie zur Spekulationskritik. Aber auch das stimmt nicht zwangsläufig. Stellte doch das frühromantische Programm einer "Poetisierung der Wissenschaft", wie Regula Fankhauser in ihrem Beitrag zeigt, präzise den Versuch dar, Kants kritische Begrenzung des Geltungsbreiches der Vernunft durch eine "poetische Realisierung des Unbedingten" zu überwinden.

Worum geht es? - Um den Schleier der Göttin zu Sais. Um die Lüftung des Schleiers und des Geheimnisses, das er birgt. Das Programm der Poetisierung diene, so die These der Autorin einer Gleichschaltung von Schleier, Textur, Text und Natur: "Der Schleier der Natur ist der Schleier der Dichtung - verschleiern und entschleiern, oder eben dichten und deuten sind Sache des frühromantischen Dichter-Philosophen, der als letztes Geheimnis der Allegorese seinem eigenen Spiegelbild gegenübersteht." Damit lieferte Novalis das Beispiel, wie über die Poetisierung der Philosophie die Unversehrtheit des Wissens, des Denkens - deren Magie -noch einmal gerettet wären. Wenn auch der poetische Wissenschaftler zum Schluß statt das Antlitz der Göttin zu schauen, bloß sich selbst gegenübersteht, so ist der Dichter-Philosoph immerhin da, während das "Weibliche" als kreatives Potential der Vernunft auf dem Weg zum dichterischen Selbst bereits verschlissen ist.

Genau das Gegenteil des ëmagischen Wissensí hat Wittgenstein im Sinn, wenn er meint, daß Philosophie eigentlich dichten müsse. Während für Novalis die Poesie die Möglichkeit einer Wiedergewinnung von Einheit und Synthesis verspricht, sieht Wittgenstein in der Metaphorik der Sprache jenes Moment, das die Philosophen zum Spekulieren verführt. Die Säkularisierung erscheint bei Wittgenstein als radikale Sprachimmanenz. Und dennoch hört er nicht auf, zu philosophieren. Vielmehr wird es, wie Gabrielle Hiltmann ausführt, zur Aufgabe der Philosophie, die Position eines Autors zu reflektieren, dem "etwas aufgefallen ist" - Nämlich, daß "dem Menschen" die eigentlichen Grundlagen seiner Forschung nicht auffallen. Wittgenstein versucht nun, so Hiltmann, im Sprachgebrauch wie in einem Vexierbild, das zu sehen, was "der Mensch" nicht sieht, weil er "es immer vor Augen hat", den "Hintergrund", auf dem das, was auffällt, gesehen wird. Wittgensteins Sprachgebrauch, seine metaphysikkritisch motivierte Dekonstruktion eines Denkbegriffs, der von der materiellen Eingebettung des Denkens ganz abstrahiert, führt ihn zu einer zunehmenden sprachlichen Konkretisierung und darüber hinaus zur Einsicht in die materielle Gestaltung der Bedeutung. Wenn Philosophie die "Berichtigung des Sprachgebrauchs" ist, so scheint an den Grenzen der Sprache, wie Hiltmann zeigt, das auf, was "unsagbar" ist: die Materialität der Sprache selbst, der Ton, das Bild, der Körper.

Diese "unsagbare" Körperlichkeit als Grund und Grenze des Denkens, des Bedeutens und Verstehens zu erinnern, erscheint als der eigentliche Gewinn, wenn sich Philosophie, anstatt sich mit der Literatur zu vereinen, sich durch die Literatur in Frage stellen läßt. Dies legt sowohl der Beitrag von Birgit Erdle, - eine Lektüre von Heinrich Heines Fragment gebliebene "Florentinischen Nächte" - als auch Avital Ronnels Essay über "Die Politik der Dummheit: Musil, Dasein, der Angriff auf Frauen und meine Erschöpfung" nahe. "Philosophie und Literatur" - ein Paar, so Birgit Erdle, aus Heterogenem gebildet. Wie ist ihr Verhältnis zu denken? Ist es ein Liebesverhältnis, wie bereits die im Begriff der Philosophie verborgene Liebe zum Wissen andeutet? Und diese Liebe - ist sie verschlingend und nur darauf bedacht, in einem hermeneutischen Schwindel den Mangel an Wissen aufzuheben? Ist es eine bedürftige Liebe, die einen Widerstand nötig hat, um der Metamorphose in vernichtende Gefräßigkeit widerstehen zu können? Und wäre das nur möglich, wenn das Verhältnis von Literatur und Philosophie in einem "ëzwischení (Literatur und Philosophie)" aufgefunden würde, "nicht jenseits der Gattungsgrenzen, sondern da, wo sie durchlässig werden oder einander stören, wie die Eindeutigkeit von Zuschreibungen sich verliert und eine andere Heterogenität ins Spiel kommt"?

In einer aufregenden Lektüre der "Florentinischen Nächte" von Heinrich Heine führt Birgit Erdle das aus zwei Teilen bestehende Fragment bis an den Punkt, wo die Literaturwissenschaftlerin der Leserin erfahrbar macht, daß es der Ton ist, der blutet und der Körper, der spricht. Anders als Wittgenstein bedenkt die Autorin freilich, daß der materiellen Gestalt der Bedeutung ein sexuelles Begehren eingeschrieben ist und daß dieses Moment einen Teil des Schreckens darstellt, vor dem die Philosophie "den Menschen" bewahrt, wenn den Philosophen nicht auffällt, welches die Grundlagen ihrer Forschung sind. Worum geht es? Es geht um ein Vergessen in der Philosophie, dieser übergroßen Liebe zum Wissen, um Obsession, Leiblichkeit, um Angst und Verfolgung, deren Spuren sich jedoch in Heines Text, die "Florentinischen Nächte" eingeschrieben haben. Sie versetzen den Text in äußerste Unruhe, die sich ins Unerträgliche steigert, wo das Verstehen vor einem Rätsel endet, das sich nicht nur als unlösbar erweist, sondern sich in Nichts auflöst. Jenseits der symptombildenden Logik des Verdrängten, die immer noch im Rahmen einer möglichen Entzifferung bleibt, zeigt Birgit Erdle auf der Folie des Familiengeheimnisses die Spur einer Tradierung von Traumatisierungen auf, die nichts anderes als die radikale Unlesbarkeit und eine radikale Heterogenität tradiert. So löst sich das Rätsel (der Schleier?) anders, als Maximilian - der begabte Entzifferer und Erzähler der "Florentinischen Nächte" - es sich wünschte, "nämlich so, daß es kein Rätsel mehr ist, sich aber auch nichts gelöst hat".

Wäre, was bleibt, dann eine spezielle Weise der Dummheit? Und was bedeutet es, um auf den Einleitungssatz jenes gestandenen Philosophieprofessors zurückzukommen, daß die Frauen, die nicht denken können, Literatur studieren sollen, für die Philosophie? Daß sie nicht dumm sein will? An diesem Punkt hilft uns die us-amerikanische Philosophin und Literaturwissenschaftlerin Avital Ronell weiter. Endet ihre - für uns von Astrid von Chamier behutsam, klug und mit großer Sorgfalt und Geduld ins Deutsche übertragene - Durchquerung von Musils Essay "Über die Dummheit" nach diversen Abstechern in die Geschichte der Philosophie und die verschiedenen Bereiche der Dummheit doch bei der Feststellung: "Zum Schluß wird Dummheit mit der Endlichkeit des Wissens in Verbindung gebracht: "Gelegentlich sind wir alle dumm" . Weil, so zitiert sie Musil, unser "Wissen und Können unvollendet ist, müssen wir in allen Wissenschaften voreilig handeln." Das heißt, wir müssen vorschnell urteilen und vorschnelle Urteile sind, wie Avital Ronell zeigt, Urteile, die sich "nicht der Feuerprobe der Unentscheidbarkeit" unterzogen haben, denn tatsächlich bewegt sich Dummheit, obwohl sie andauernd mit Langsamkeit assoziiert wird, zu schnell: "Hochgeschwind und in Eile ist sie immer (schon) ein Sturm ... aufs Urteil." Dummheit hat dementsprechen ein Urteil zur Folge, "das, einmal zum Schluß gekommen, sich selbst als unerschütterliche Wahrheit ausgibt."

"Frauen können nicht denken" - wäre dieser Satz nicht ein Beispiel für ein solches stürmisches Urteil? Dann wäre die Philosophie, die ein solches Urteil verlangt dumm, dumm, um jedes Vorurteil der Dummheit und der Unvollkommenheit von sich zu weisen? -Spekulation, Wahn - auf Kosten der angeblich Dummen, Frauen e. al.?

Nun gibt es freilich einen Bereich, in dem Dummheit erlaubt ist: "Wenn man verliebt ist, zum Beispiel; wenn man sich gegenseitig mit unsinnigen Namen belegt, mit Tiernamen, und im Aufrufen der eigenen, privaten Sprache der Liebe". Und nicht zufällig, sondern mit einer gewissen Zwangsläufigkeit führt die Vermischung von Philosophie, von Schreiben und Dummheit zu jener Erfahrung, die Avital Ronell als Stimmung beschreibt, "in der ein Schreibakt gründet". Kopfschmerzen, Unlust, ein Gefühl von Weltverlust oder im Gegenteil Euphorie und Weltgewinn. Dummheit endet bei der Endlichkeit des Wissens und die Erfahrung, dumm zu sein, schreibt sich in den Text von Avital Ronell ein als "Todeserfahrung", die "sich oft gerade vor meiner Periode, dieses Vorbereiten und Blutvergießen, das Frauen dummerweise durchzumachen haben", ereignet. Ein verliebter Text, der sich jeden Sturms aufs Urteil enthält. Ein weiblicher Text?

Die Veröffentlichung des Kriegstagebuches, der Briefe an Jean-Paul Sartre, vor allem aber die jüngste französische Publikation der Briefe an den us-amerikanischen Schriftsteller Nelson Algren, jener großen leidenschaftlichen Liebe von Simone den Beauvoir, haben die Philosophin wieder ins Gespräch gebracht. Wie hätte sie selbst diese Aufmerksamkeit für ihr Liebes- und Sexualleben und die neuesten Spekulationen über das Verhältnis zu Sartre kommentiert? Die Vordenkerin des Feminismus, die nie um Worte verlegen war und ihre Schlagfertigkeit, wenn es etwa darum ging, sich gegen die Abdrängung in die Rolle der Schriftstellerin zu wehren, in vielen Interviews bewiesen hat, wäre auch heute nicht um passende Antworten verlegen. Das zeigt deutlich das fiktive Interview, das Ursula Konnertz aus Anlaß des wiedererwachten Interesses an der Philosophin zusammengestellt hat. Es beginnt bei der Liebe, geht über zum Schreiben, berührt die Verbindung von Liebe und Schreiben, das Schwanken zwischen Literatur und Philosophie, zwischen Philosophie und Literatur, um immer tiefer sich zu verstricken in das, was, weil es immer da ist, nicht auffällt, den Skandal des Wissens um die Endlichkeit, den Tod und die Frage, wie sich diese Frage um die Erfahrung der Geschlechtlichkeit rankt. Und die These? Gerade weil Beauvoir diesen Fragen nicht auswich, war sie eine Philosophin.

 

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