Das Wort "Gesichtsblindheit"
ist nachempfunden dem Ausdruck "Farbenblindheit".
Jeder weiß, daß ein Farbenblinder nicht Farben erkennen kann,
er sieht z.B. seine Umgebung wie in einem alten "schwarz/weiß
Film". Jedoch ist er nicht blind.
Er kann alleine ohne Blindenhund durch die Straßen laufen und
erkennt ihm entgegenkommende Passanten, ohne diese anzulaufen.
Ein Gesichtsblinder kann zwar in der Regel Farben erkennen,
aber nicht die Gesichter ihm entgegenkommender Passanten erkennen.
Er ist nicht in der Lage, die Gesichter seiner eigenen Familienmitglieder
zu identifizieren, noch kann er sein eigenes Gesicht im Spiegel
erkennen.
Diese Krankheit tritt sehr selten auf. Man
weiß heute, daß zwei Ursachen zur Gesichtsblindheit führen können.
Erstens gibt es eine angeborene Gesichtsblindheit, zweitens
eine Gesichtsblindheit, die durch einen Schlaganfall oder Hirnverletzungen
infolge eines Unfalls auftreten kann. Wir wollen nun zur sachlichen
Orientierung den medizinischen Namen für Gesichtsblindheit einführen.
In der Medizin wird Gesichtsblindheit als "Prosopagnosie" bezeichnet.
Dieser Ausdruck ist aus dem griechischen abgeleitet von dem
Wort "prosopon", der griechische Ausdruck für Gesicht, und "agnosie",
griechisch "Nichtererkennen". Prosopagnosie bedeutet auf deutsch
also etwa "Gesichtnichterkennung".
Der Begriff "Prosopagnosie" soll in Zukunft durch die beiden
Buchstaben PA abgekürzt gekennzeichnet werden. Man spricht wissenschaftlich
von congenitaler PA im Fall der angeborenen PA.
Sie beruht sehr wahrscheinlich auf einer Mutation eines Gens,
das für die Funktionsfähigkeit von Neuronen (das sind Nervenzellen
im Gehirn) verantwortlich ist. Analysen über Erbgänge congenitaler
PA laufen zur Zeit. Bisher ist darüber noch wenig bekannt.
Die PA, die als Folge eines Schlaganfalls oder einer Hirnoperation
eingetreten ist, wird als "erworbene PA" bezeichnet.
Diese einführenden Erläuterungen
haben gezeigt, daß Gesichtsblindheit nicht auf Augenschäden,
die durch Verschreibung einer Brille behoben werden könnten,
sondern auf Schäden in Gehirnzellen (Neuronen), die für die
Identifizierung, also Erkennung bekannter Personen verantwortlich
sind, beruht.
Wenn man als Kind oder als Erwachsener bekannte Menschen, wie
z.B. Schulkameraden, Arbeitskollegen, nicht erkennen kann, sie
also auch nicht grüßt, wenn man sie unerwartet auf der Straße
trifft, so kommt man bald in schwerwiegende soziale Schwierigkeiten.
Die Bekannten sehen einen als unhöflich oder eingebildet an.
In der Regel meiden sie seine Gesellschaft. So wird ein Gesichtsblinder
häufig zum sozial isolierten Außenseiter. An verschiedenen Stellen
wird im Internet seit wenigen Jahren über Gesichtsblindheit
berichtet, wenn man eine Suchmaschine nach den Ausdrücken "Prosopagnosie"
oder "Prosopagnosia" (der im englischen Sprachgebrauch verwendete
Ausdruck) suchen läßt.
Bisher unerwähnt blieb aber stets, daß sich PA in verschiedenen Individuen mit unterschiedlicher Prägnanz ausprägt. Die Erfahrungen verschiedener Gesichtsblinder beim Sehen von Gesichtern sind also keineswegs gleich. Nachdem ich selbst im 69. Lebensjahr durch einen Schlaganfall PA bekommen habe, habe ich durch ausführliche Diskussionen mit etwa 60 weltweit verbreiteten Leidensgenossen Einzelheiten über individuelle Eindrucksunterschiede beim Sehen von Gesichtern erfahren können. Von diesen möchte ich abschließend zusammenfassend kurz berichten, da sie bisher selbst den ärzten und Neurologen unbekannt geblieben sind. Das ist nicht verwunderlich, denn in der Regel erlebt ein Arzt während der Zeit seiner beruflichen Tätigkeit kaum mehr als 5 PA- Patienten in seiner Praxis. Nach meinen Erfahrungen aus Diskussionskontakten mit etwa 60 Gesichtsblinden lassen sich deutlich vier im Gesichtswahrnehmungsvermögen deutlich unterschiedene Gruppen voneinander unterscheiden.
Copyright by Dr. W. Laskowski , September 2001 .