Der Nationalsozialismus als biografische und gesellschaftliche Herausforderung

Teilprojekt I: Die individuelle Herausforderung des Nationalsozialismus


Bearbeiter: Janosch Steuwer

In meinem Dissertationsprojekt untersuche ich, wie sich der Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft auf die An- und Selbstsichten sowie das alltägliche Verhalten der Deutschen auswirkte. Das NS-Regime war von Beginn an nicht allein darum bemüht seine politische Macht zu sichern, sondern zielte vor allem auf eine grundlegende Neuordnung der deutschen Gesellschaft. In diesem Zusammenhang erhob das Regime weitreichende Forderungen gegenüber dem alltäglichen Verhalten und den persönlichen wie politischen Ansichten der einzelnen Zeitgenossen: Forderungen nach der Zuordnung der einzelnen Zeitgenossen zum NS-Regime zur eigenen Unterstützung wie zur sozialen Isolation von Juden und anderen „Volksfeinden“; nach der Veränderung der Selbstvorstellungen der Zeitgenossen, in denen neue ideologische Kategorien wie „Rasse“ oder „Gemeinschaft“ nun einen zentralen Platz einnehmen sollten; sowie nach der Beteiligung am politischen System des NS-Regimes, das vielfältige Angebote zum Mitwirken machte. Anhand eines Samples von ca. 150 Tagebüchern der 1930er Jahre untersucht das Projekt gleichermaßen die konkreten Reaktionsweisen der Zeitgenossen auf die ihnen gegenüber erhobenen Forderungen wie den Anteil, den diese Reaktionen an der nationalsozialistischen Transformation der deutschen Gesellschaft zwischen 1933 und 1939 hatten. Es argumentiert, dass die individuellen Reaktionen auf die Forderungen des NS-Regimes, obgleich diese sehr unterschiedlich waren, für die Veränderung der Regeln gesellschaftlicher Zugehörigkeit, dem Wandel von Subjektivitätsvorstellungen wie –praktiken und die Transformation der Beziehungen zwischen politischem System und deutschen Gesellschaft nach 1933 fundamentale Bedeutung besaßen. Das Dissertationsprojekt zeichnet mit Blick auf das konkrete Verhalten einzelner Zeitgenossen die nationalsozialistische Transformation der deutschen Gesellschaft nach und zeigt, dass diese gleichermaßen durch das NS-Regime wie das eigensinnige Verhalten der Zeitgenossen selbst vorangetrieben wurde.

Teilprojekt II: Entnazifizierungsgeschichten. Der individuelle Umgang mit der NS-Vergangenheit in der frühen Nachkriegszeit

Bearbeiterin: Hanne Leßau

Das Projekt rückt den Umgang der Zeitgenossen mit der eigenen NS-Vergangenheit in der frühen Nachkriegszeit in den Mittelpunkt. Es fragt danach, wie diese der Herausforderung begegneten, unter den grundsätzlich veränderten Bedingungen der Kriegsfolgengesellschaft das eigene Verhältnis zum Nationalsozialismus erneut zu bestimmen. Dabei wird gezeigt, dass unter den vielfältigen Maßnahmen, die die Zeitgenossen nach 1945 mit der NS-Vergangenheit konfrontierten, die Entnazifizierungsverfahren einen wichtigen Kristallisationspunkt für die individuelle Auseinandersetzung mit eigenen Verhaltensweisen und Einstellungen während der NS-Zeit bildeten. Dementsprechend wird die Entnazifizierung aus einer erfahrungsgeschichtlichen Perspektive betrachtet, die den in diesem Kontext entwickelten Umgangsformen und Sinnstiftungen der zu Entnazifizierenden nachgeht und sich dabei nicht auf den engeren Verfahrenskontext beschränkt, sondern gerade die mit den Verfahren einhergehenden Sinnstiftungs- und Kommunikationsprozesse im Privaten sowie im sozialen Umfeld - über zeitenössische Selbstzeugnisse - einbindet. Das Projekt untersucht, wie eine Vielzahl der zu Entnazifizierenden in diesem spezifischen Kontext Erzählungen über die eigene Vergangenheit in der NS-Zeit ausbildeten. Vor diesem Hintergrund wird dann der Frage nachgegangen, inwieweit diese im Kontext der Entnazifizierung entwickelten Umgangsformen mit der eigenen Biografie über die frühe Nachkriegszeit hinaus prägend für den individuellen Umgang mit der eigenen NS-Vergangenheit blieben.